Raumschiff 4 - Channa
dem Begriff
›Knieamputation‹ von nun an eine weitere Dimension
hinzufügen.«
»Das kannst du nicht!« sagte er und packte sie am Arm. »Es sind Drecksäcke, aber sie sind doch… es sind doch
vernunftbegabte, empfindungsfähige Wesen. Du kannst sie doch nicht einfach so verstümmeln.« Seine Stimme hatte wieder den Akzent seines Vaters angenommen, und er zitterte vor Anspannung. Schweißperlen erschienen am Ansatz seines rotbraunen Haars. »Das ist böse! Was denkst du dir dabei?«
Sie riß ihren Arm aus seinem Griff. »Ich denke mir dabei, was die getan haben. Leute gefoltert. Was sie mit Patsy und deinem Freund Juke angestellt haben. Ich denke an
Genugtuung.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Aber doch nicht so, damit will ich nichts zu tun haben. Könntest du sie nicht einfach… sauber töten? Komm schon, Joat?«
Sie drückte ihn mit der Schulter beiseite und befestigte eine weitere Leine in der ungefähren Hüfthöhe eines Erwachsenen.
»Sim sagt«, fuhr sie fort, während sie drei weitere Fäden in Schienbeinhöhe spannte, »daß es besser ist, den Feind in Stücke zu schneiden, als ihn umzubringen. Das schüttelt ihn mehr durch, und außerdem müssen sie sich um die Leute
kümmern.«
»Wenn wir so etwas tun, wodurch unterscheiden wir uns
dann noch von denen?«
Fauchend fuhr sie zu ihm herum. »Dadurch, daß wir hier leben und es nicht zum Spaß tun! Und auch keinen einzigen lausigen Credit damit holen!«
Seld setzte sich abrupt an die Korridorwand.
»Seld?« fragte sie. Ihre Miene glättete sich sofort, und die Stimme veränderte sich. »Seld, bist du in Ordnung? Brauchst du deine Medikamente?«
»Ich bin in Ordnung. Ich… ich mag dich nur nicht, wenn du so bist, Joat. Und ich mag dich eigentlich wirklich. Weißt du das?«
Manchmal mag ich mich selbst auch nicht besonders, dachte Joat. Sie wandte sich ab und schürzte empört die Lippen.
»Komm mir jetzt bloß nicht mit den Tränendrüsen, Seld, denn hier wird es erst noch sehr viel schlimmer werden, bevor es wieder besser wird. Falls es überhaupt besser wird.« Alles wird immer nur schlimmer.
Er hob den Kopf von den Knien. »Wenn ich schon sterben soll, will ich es wenigstens sauber tun«, warf er ein. »Gib mir deine V-Pillen.«
»Weshalb?«
»Habe meine verloren.«
»In Ordnung.« Sie sollten die Pillen nehmen, falls sie in Kontakt mit einem Kolnari gerieten. Joat hatte nicht vor es zu tun, ebensowenig aber auch, die Begegnung zu überleben. Seld steckte die Pillen ein und schritt in Richtung seines eigenen Fluchtwegs davon.
Joat schürzte wieder die Lippen und befestigte eine weitere Leine an der Wand, an der Öffnung des Verbindungskorridors.
Dann duckte sie sich mit großem Abstand und schlich sich auf Zehenspitzen zur ersten Leine zurück. In sicherer
Entfernung blieb sie stehen und lauschte.
Kommt schon, dachte sie. Etwas Bewegung, wenn ich bitten darf.
Es sollte sie eigentlich wundern, daß die erste Patrouille so lange brauchte, um zu reagieren. Sie stellte sich neben das sabotierte Paneel und lauschte, vernahm aber nur das Klopfen ihres eigenen Herzens, das sich so anfühlte, als wollte es sich aus ihrer schmalen Brust befreien. Und dann endlich fingen ihre scharfen Ohren das Geräusch von Bewegung auf. Sie zählte bis fünf und begann mit dem Rückzug zur zweiten Leine. Sie gelangte gerade in den Korridor, als sie ein gerufenes »Halt!« auf Kolnari vernahm.
Perfekt, dachte sie, die haben nur den Einteiler gesehen! Und sie hatten auch nicht Halt, Ungeziefer! gerufen.
Zwei Schüsse wurden abgefeuert; leichte Waffen, Nadeln, die scheppernd vom Metall abprallten. Joat beugte sich aus ihrer niedergekauerten Position vor und blickte um die Ecke. Sie hatte ein bösartiges Grinsen im Gesicht, doch das erstarb schnell. Zwei der Kolnari-Krieger lagen in einer Blutlache am Boden, hingen über dem ultrastarken, unsichtbaren Draht, der sich durch ihre Beine gesägt und sie vom Nabel bis zum Rückgrat aufgeschlitzt hatte. Noch während sie zusah, stürzte einer der Leiber in zwei Stücken zu Boden.
Eine Kolnari-Kriegerin griff nach ihren abgetrennten Beinen und riß sich dabei die Hand in zwei Stücke auf. Zwei Finger hingen nutzlos herab, als sie ihren Arm ergriff und schrie, nicht aus Schmerz oder Furcht, sondern aus schierem Entsetzen vor dem unsichtbaren Etwas, das sie umgebracht hatte.
»Oho, das ist aber multigriesig«, flüsterte Joat bei sich. Der Klang der Worte schien ihr angesichts dessen, was sie
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