Raumschiff 4 - Channa
gehört?«
Der fröhliche Tonfall ihrer Stimme neckte ihn und forderte ihn heraus.
»Natürlich habe ich das. Es wird ihm oft zugeschrieben, die indirekte Ursache einer erfolgreichen Revolution gewesen zu sein.«
Sie musterte seine Säule mit einem schiefen Blick. »Wenn er einen Krieg auslöste, müssen Sie ihn ja wohl kennen, wie?«
»Haben wir nun einen Waffenstillstand oder nicht?«
»Haben wir«, sagte sie und hob beide Hände kapitulierend in die Höhe.
»Wer schreibt denn diese Oper ›Rasputin‹?«
»Verdi«, erwiderte sie sofort. »Ein derart großartiger Stoff und auch diese Epoche hätten ihm zusagen müssen. Meinen Sie nicht auch? Schön, jetzt sagen Sie mir doch mal, wer die Hauptrolle spielen soll.«
Simeon griff auf die erforderlichen historischen
Informationen in seinen Datenbanken zu. »Auf den zur
Verfügung stehenden Bildern besitzt Rasputin riesige Augen und einen vernichtenden Blick, also brauchen wir einen Sänger, der körperlich kräftig und dramatisch dazu in der Lage ist, einer solchen Rolle zu entsprechen. Wie wäre es mit Tlac Suc, dem Sondeetenor?«
»Äh… ich gebe zu, daß er einen hypnotischen Blick hat und daß seine Augen groß sind. Aber meinen Sie nicht auch, daß er ein paar zu viele davon hat? Außerdem ist er nur pensioniert, nicht tot.«
Simeon machte einen riesigen Sprung zurück in seiner
Datenbank. »Äh, Placido Domingo?«
»Den kenne ich! Er lebte in einer Zeit, die mit großen Tenören gesegnet war. Der ist perfekt! Groß, hager, große braune Augen, und was für eine Stimme! Schöne Wahl,
Simeon.«
»Und tot ist er auch.«
»Ich sehe es schon richtig vor mir«, sagte sie, stand plötzlich auf und griff sich theatralisch an die Kehle. »Sie vergiften ihn, verstehen Sie«, und sie breitete die Arme aus, »und er singt.
Sie erdolchen ihn«, sie mimte einen Stoß in ihre Brust, bevor sie wieder die Arme weit ausbreitete, »und er singt! Sie ertränken ihn«, sie ruderte mit den Armen, als würde sie verzweifelt schwimmen, dann legte sie beide Hände aufs Herz,
»und er singt! Sie erschießen ihn«, sie taumelte auf Simeons Säule zu und lehnte sich dagegen.
»Channa, irgendwann muß er auch einmal aufhören zu
singen.«
Sie hob einen Finger. »Sotto voce, singt er: ›Es ist
vollbracht‹.« Sie glitt die Säule hinunter und nahm eine anmutige Haltung ein. »Und er stirbt.« Ihr Kopf ruckte vor, und die Hände hingen schlaff herab.
Das Intercom ertönte, und der Schirm wurde freigegeben, um der Kommunikationsspezialistin Keri Holen einen
ungehinderten Blick auf Channa zu gewähren, wie sie
zusammengesackt am Fuß von Simeons Säule lag. »Oh! Was ist denn… ich meine, Miss Hap! Simeon, ist alles in Ordnung mit ihr?«
Channa war sofort auf den Beinen und hob die Handfläche zu einer beruhigenden Geste. »Mir geht es hervorragend«,
erwiderte sie und richtete gelassen ihre Hemdbluse. »Was ist los?«
»Äh… eine Nachricht vom Jugendamt in der Zentrale, eine Miss Dorgan. Sie hat für heute 16:00 eine Konferenz
anberaumt, falls Ihnen das paßt.«
»Prima«, erwiderte Simeon, »und richten Sie ihr unseren Dank aus.« Dann unterbrach er die Verbindung.
»Den Mächten sei Dank, daß das nicht Miss Dorgan
persönlich war«, meinte Channa nervös.
»Dieses ›falls es Ihnen paßt‹ gefällt mir«, meinte Simeon nachdenklich. »Channa, haben Sie vielleicht jemals darauf geantwortet: ›Nein, das finde ich aber verdammt unpassend.‹«
Channa musterte ihn mit einem einzigartig ausdruckslosen Gesicht. »Nein, habe ich tatsächlich nicht. Aber in meiner Branche sollte das eigentlich auch nie der Fall sein!«
Simeon begutachtete Joat nervös, fragte sich, ob sie das Mädchen nicht vielleicht anders hätten ankleiden sollen. Alle anderen Kinder in ihrem Alter trugen die gleichen unförmigen Kleidungsgegenstände, abstoßende und oft schreiende
Farbkombinationen, aber nicht unbedingt das, was ein
vorsichtiger Vormund für diese Art Gespräch empfehlen
würde. Das Comlink läutete.
Zu spät, dachte er. Channa wirkte gelassen, aber das tat sie ja immer. Eigentlich seltsam, wo sie doch zu einer solchen Feindseligkeit fähig ist… Aber selbst diese Feindseligkeit übte sie stets mit kontrollierter und eisiger Miene aus. Ja, Channa war schon in Ordnung. Joat hatte die Hände im Schoß
verschränkt. Armes Kind, ihre Knöchel sind ja weiß.
Ansonsten aber schien sie ganz gefaßt zu sein. Mir geht es auch gut, dachte er. Ich bin zwar nicht
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