Raus aus dem Schneckenhaus
soziokulturellen Aspekten. Vorweg sei gesagt: Soziale Ängste und Phobien haben nicht eine, sondern viele Ursachen, die miteinander in Wechselwirkung stehen und die Ausprägung einer ganz bestimmten individuellen Symptomatik bestimmen.
Erst die spezifische Kombination verschiedener Aspekte löst belastende soziale Ängste und Phobien aus: So können eine gewisse biologische Anfälligkeit sowie bestimmte kulturelle, lebensgeschichtliche, familiäre und außerfamiliäre Lebensbedingungen und Erfahrungen in Verbindung mit bestimmten Denkmustern, Eigenschaften und sozialen Defiziten dazu führen, dass sich soziale Ängste und Phobien entwickeln. Diese werden durch falsche Problemlösungsstrategien wie etwa Vermeidung, Sicherheitsverhalten und erhöhte Selbstaufmerksamkeit aufrechterhalten und verschlimmert. Dieser bio-psycho-soziale Ansatz , der körperliche, personspezifische und umweltbedingte Aspekte gleichermaßen berücksichtigt, wird der Vielschichtigkeit sozialer Ängste am besten gerecht.
Organische Faktoren: die Macht der Biologie
Angststörungen sind zu einem Drittel biologisch bedingt. Es handelt sich dabei um unspezifische Faktoren, die noch keine genetische Festlegung auf eine ganz bestimmte Angststörung bedeuten. Folgende biologische Aspekte sind bei der Entstehung krankhafter sozialer Ängste bedeutsam: Vererbung, Konstitution, Überaktivität bestimmter Gehirnareale, unkontrollierbare körperliche Erregung und Störungen im Bereich der Botenstoffe im Gehirn.
Soziale Ängste sind in biologischer Hinsicht durchaus sinnvoll: Der Mensch ist ein soziales Wesen und kann es nicht tolerieren, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Er tut alles, um in das bestehende soziale Gefüge integriert zu werden, auch wenn er sich den Erwartungen der Umwelt anpassen muss.
Vererbung ist kein Schicksal
Es ist eine alte Streitfrage: Sind soziale Ängste angeboren oder erlernt? Mittlerweile ist wissenschaftlich erwiesen: Der Erbfaktor bei sozialen Phobien beträgt 30–40 Prozent. Er ist bei der generalisierten Sozialphobie höher und bei der spezifischen Sozialphobie niedriger. Soziale Ängste weisen eine stärkere erbliche Komponente auf als andere Angststörungen. Soziale Angststörungen treten familiär gehäuft auf: Menschen mit sozialen Ängsten haben oft einen Elternteil, der von ähnlichen Problemen betroffen war. Das Risiko, in einer Familie mit einem sozialphobischen Elternteil eine soziale Phobie zu bekommen, ist dreimal so hoch wie in einer unbelasteten Familie. Dies lässt sich nicht allein durch ein ungünstiges elterliches Vorbild erklären, wie Studien an Zwillingskindern, die getrennt aufgewachsen sind, gezeigt haben. Vererbung ist jedoch kein Schicksal! Genetische Faktoren sind zwar mehr oder weniger bedeutsam für die Entwicklung von sozialen Ängsten, die Betroffenen haben jedoch die Chance, durch ihr Verhalten Einfluss darauf zu nehmen.
Biologisch geprägtes Reaktionsspektrum: Flucht, Verhaltensblockade, Ohnmachtsgefühl
In Angstsituationen haben Menschen und Tiere grundsätzlich vier biologisch vorgegebene Verhaltensmöglichkeiten: Kampf, Flucht, Verhaltensblockade und Ohnmacht. Selbstbehauptung, eigentlich die wirksamste Strategie, ist Menschen mit sozialen Ängsten allerdings nicht möglich. Sie gehören nicht zu jenen Personen, die in bedrohlichen sozialen Situationen buchstäblich den Kampf aufnehmen. Sozial Ängstliche bekommen vielmehr »Schiss« und neigen zur Vermeidung sozialer Situationen oder – wenn dies nicht möglich ist – zur Flucht aus peinlichen und subjektiv bedrohlichen Situationen. Bei fehlender Fluchtmöglichkeit wird ihr Verhalten durch ein biologisches Notfallprogramm völlig blockiert: Eine bestimmte Gehirnregion (das sogenannte septohippokampale System) übernimmt die Steuerung, sodass die Betroffenen wie erstarrt (»starr vor Schreck«) wirken und körperlich total regungslos sind; ihr geistiges Verwirrtsein ist durch eine hormonelle Übererregung bedingt. Andere Sozialphobiker fühlen sich buchstäblich der Ohnmacht nahe – analog zum Totstellreflex der Tiere gegenüber mächtigeren Feinden. Selbst wenn sich die Betroffenen subjektiv gar nicht so ängstlich fühlen, schaltet ihr Gehirn schnell auf eine körperliche Aktivierung um, die zu einer Fluchtreaktion aus der sozialen Situation oder zu einer Verhaltensblockade im Sinne von Gehemmtheit führt. Ein gewisses Maß an Gehemmtheit gegenüber Fremden und Vorsicht in neuen sozialen Situationen ist aus
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