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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erkannte, dass sie nicht wieder hochkommen würde.
    Ihre Hand tastete nach dem verletzten Knöchel, und sie glaubte zu fühlen, wie er unter dem Leder der Stiefeletten immer dicker anschwoll.
    Es konnte kein Zweifel geben: Der Knöchel war schwer verstaucht, vielleicht sogar gebrochen - so ungefähr das Schlimmste, was ihr hatte passieren können!
    Janice verfluchte sich für ihre Unachtsamkeit. Einen Herzschlag lang hatte sie das Bedürfnis, einfach so liegen zu bleiben und sich aufzugeben, aber dann dachte sie wieder an Raven und die Devlins, und etwas in ihr verlieh ihr neue Kraft. Na gut - wenn sie nicht gehen konnte, würde sie eben kriechen!
    Sie schob trotzig den Unterkiefer vor. Was sie verbockt hatte, das sollten ihre Freunde, die sich in der Gewalt der Gangster befanden, nicht ausbaden müssen. Es war ihre verdammte Pflicht, die Straßensperre zu erreichen, und wenn es auf allen vieren war!
    Aber das war leichter gedacht als getan. Sie krallte ihre Finger in den Untergrund, versuchte, ihren müden, zerschundenen Körper vorwärtszuziehen. Es war albtraumhaft mühsam. Wie ein verwundeter Fuchs arbeitete sie sich den Hang hinunter, den linken Fuß, in dem der Schmerz pochte, nachziehend. Und währenddessen rechnete sie jeden Augenblick damit, dass hinter ihr der keuchende Atem des Verfolgers hörbar wurde.
    Doch da war nichts, nur das Rauschen der Zweige im Wind und das Tröpfeln des Regens, der jetzt ein wenig nachließ. Hatte der Gangster etwa ihre Spur verloren?
    Es war ein angenehmer Gedanke, aber sie vermochte nicht recht daran zu glauben. In dieser Situation wäre es lebensgefährlich gewesen, sich Illusionen hinzugeben. Nein, der Gangster war noch hinter ihr her, daran konnte es keinen Zweifel geben. Sie musste sich so schnell bewegen wie bei ihrem Handicap eben möglich, um vor ihm die Straßensperre zu erreichen. Andernfalls war ihr Leben nicht einen roten Heller wert.
    Und dann sah sie das Licht zwischen den Bäumen.
    Die Straße!, durchfuhr es sie. Ich hab's geschafft! Da vorne sind Autos, Menschen, Hilfe. O Gott, gib, dass mich der Kerl nicht noch in allerletzter Sekunde erwischt!
    Mit neuer Energie robbte sie weiter. Eine letzte Dornenhecke versperrte ihr den Weg, aber sie wand sich schlangengleich hindurch ins Freie. Keuchend hob sie den Kopf, blinzelte in das Glühen und Glimmen vor ihr. Ein Handscheinwerfer? Ungläubiges Lachen vibrierte angespannt in ihrer Kehle. Konnte es denn sein, dass sie am Ende ihres Leidenswegs das unglaubliche Glück hatte, direkt bei der Straßensperre aus dem Wald zu kommen?
    Sie blinzelte erneut, kniff die Augen einmal ganz fest zusammen, öffnete sie wieder und ...
    Das, was sie sah, war so ungeheuerlich, dass sie ihren fünf Sinnen nicht zu trauen wagte.
    Von einer Straße keine Spur. Vielmehr befand sie sich am Rande einer Lichtung, und das Leuchten, das sie vom Wald aus gesehen hatte, ging von einem gewaltigen schwarzen Turm aus, der sich genau in der Mitte der Lichtung über den Hang erhob. Das ganze Bauwerk fluoreszierte wie mit Leuchtschimmel überzogen, in einem unheiligen, kalten Glühen, das etwas Überirdisches an sich hatte. Janice stockte der Atem.
    Denn sie war auf der Lichtung nicht allein. Keine zwanzig Schritte von ihr entfernt stand ein Mann, das Gesicht der schwarzen Wand aus Steinquadern zugewandt. Durch die treibenden Nebel hindurch wirkte er seltsam schattenhaft, eine dunkle, geheimnisvolle Gestalt, deren Körper von einer Art Aura umspielt wurde - beinahe so, als hätte sich das Glühen des Turms auf seinen Leib übertragen.
    Janice vermochte nicht zu erkennen, was der Mann da eigentlich machte, aber er schien mit den Händen an der Steinmauer entlangzufahren. Sie meinte, ein leises kratzendes Geräusch zu vernehmen ... Wirklichkeit oder Einbildung? Sie horchte noch einmal genauer hin, und tatsächlich war da ein Kratzen und Schaben, als bröckele der Mann Mörtel aus den Ritzen zwischen den Steinquadern heraus.
    Aber was dieser unheimliche, stumme Mann letztlich auch machen mochte, es war ihr egal. Sie war sich ganz sicher, dass er nicht zu den Bankräubern von Shilford gehörte, und allein das zählte. Er war einfach ein Mensch, ein anderer Mensch, und sie konnte ihn um Hilfe bitten. Vielleicht hatte er sogar ein Fahrzeug dabei, mit dem sie schnell den nächsten Polizeiposten erreichen konnten ...
    Mühsam erhob sich Janice auf ihr unverletztes Bein und humpelte mit zusammengebissenen Zähnen auf die dunkle Gestalt zu. Immer noch konnte sie

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