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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem dicken roten Fleck verschandelt, der sich über der Mitte der liegenden Gestalt ausbreitete und sich in einer länglichen Ausbuchtung nach unten bis zum Lakenrand dicht über dem Wohnzimmerteppich erstreckte.
    Während Raven das Bild noch in sich aufnahm und es zu verstehen suchte, fiel ein dicker roter Tropfen wie halb geronnene Farbe aus einem Lakenzipfel in den teuren Teppichflor und versickerte darin. Instinktiv hielt Raven den Atem an, wie um die stille Gestalt auf dem Sofa nicht zu wecken.
    Jazz kannte diese Rücksichtnahme nicht. Er stieß dem Liegenden den Lauf der MPi in die Seite, beugte sich nieder, um ihn an der Schulter wachzurütteln. Noch immer erschütterte ein röhrendes Gelächter seinen schlanken, fast hageren Körper. Es war so laut, dass es das Stöhnen des Verwundeten beinahe übertönte, als dieser aus der Sphäre zwischen Schlaf und Bewusstlosigkeit auftauchte, in die Erschöpfung und Blutverlust ihn hatten gleiten lassen.
    »He, Lefty - hast du das gehört?«, keuchte Jazz zwischen zwei weiteren Stößen seines anfallartigen Gelächters. »Ich hätte gerade fast die kleine Janice umgelegt. Die süße kleine Janice!« Er rüttelte ihn wieder an der Schulter. »Na, Brüderchen, erinnerst du dich noch an die süße kleine Janice, dieses hochnäsige Biest, das nichts von uns beiden wissen wollte? Weißt du noch? Diese dreckige kleine Nutte aus der Hillock Road, diese gottverfluchte Hure, diese - diese ... Lefty? Lefty!«
    Bei den letzten Worten hatte sich Jazz' Gelächter in ein beinahe verzweifeltes Schluchzen verwandelt, das sich schließlich bis zu einem Aufschrei tiefster Qual steigerte, als er den Namen seines Bruders herausbrüllte.
    Aber Lefty war noch nicht tot, wie Jazz für einen Augenblick befürchtet haben mochte. Sein spitzes, vom Schmerz ausgezehrtes Gesicht schob sich unter dem Laken hervor, womöglich noch weißer als dieses, und seine blutleeren Lippen formten ein einziges Wort:
    »Wasser ...«
    Von dem, was Jazz ihm mit überschnappender Stimme erzählt hatte, hatte er kein Wort mitbekommen.
    Raven, der sich in einem unglaublichen Albtraum befangen glaubte, verfolgte benommen, wie sich Jazz neben seinem jüngeren Bruder auf die Knie niederließ und mit plötzlich völlig veränderter Stimme auf ihn einzuflüstern begann - zärtlich, wie eine Mutter, die ihr krankes Jüngstes tröstet.
    »Du weißt doch, dass ich dir kein Wasser geben kann, Brüderchen«, wisperte Jazz. »Nicht nach dem Bauchschuss. Aber halt bloß noch ein bisschen durch, Lefty, ein klitzekleines bisschen. Wenn Billy-Boy aus dem Wald zurückkommt, verschwinden wir von hier, und dann bringe ich dich zum Arzt, das verspreche ich dir. Hast du das gehört, Lefty? In ein paar Stunden bist du beim Doktor, und dann wird alles wieder gut.« Er beugte sich noch weiter über seinen Bruder und küsste ihn sanft auf die schweißfeuchte Stirn.
    Lefty öffnete noch einmal den Mund, vielleicht, um wieder um Wasser zu flehen, brachte aber kein Wort mehr heraus. Gnädige Bewusstlosigkeit umfing ihn. Die ganze Zeit über hatte er kein einziges Mal die Augen geöffnet.
    »Sie sollten ihn jetzt zum Arzt bringen, nicht erst in ein paar Stunden«, sagte Anne Devlin mit verbitterter Stimme. »Sehen Sie denn nicht, dass Sie ihn umbringen, wenn Sie noch länger zögern? Wollen Sie denn, dass er stirbt? Sie sind doch sein Bruder! Stellen Sie sich, dann kann ihm vielleicht noch geholfen werden!«
    Die Veränderung, die bei diesen Worten mit Jazz vor sich ging, war erschreckend.
    Schlagartig fiel alle Sanftheit von ihm ab. Er wirbelte auf dem Absatz herum, und in seinen Augen funkelte nackte Mordlust. Mit einem einzigen Satz war er bei der schwangeren Frau und schlug ihr ins Gesicht. Anne gab ein schmerzerfülltes Wimmern von sich. Auf ihrer Wange bildete sich sofort ein Bluterguss.
    Jazz stieß der jungen Frau den Lauf seiner entsicherten Maschinenpistole in den Bauch. Annes Wimmern ging in einen Panik erfüllten kleinen Schrei über.
    Die Bedrohung seiner Frau und seines ungeborenen Kindes riss Seymour Devlin aus seiner Lethargie. »Lassen Sie sie in Ruhe!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er wild an seinen Fesseln riss, ohne auf den Schmerz in seiner durchschossenen rechte Hand zu achten. »Wenn Sie unbedingt jemanden abknallen wollen, dann nehmen Sie mich und nicht eine hilflose, schwangere Frau! Los, kommen Sie schon, schießen Sie mich über den Haufen, falls Sie sich nicht anders abreagieren

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