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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer dämonischen Parodie auf die zärtlichen Liebkosungen lebendiger Menschen aneinander schmiegte. Denn jetzt kamen die anderen aus dem Turm ...
    Jene, die wie die albtraumhafte Geliebte des untoten Mannes seit Äonen in der Gruft des Teufelsturms geschmachtet hatten. Dutzende waren es, vielleicht Hunderte. Es wurden immer mehr, die da aus ihrem Kerker brachen: halb skelettierte Mumien, an deren Hand- und Fußknöcheln oft noch die verrotteten Überreste von Hanfstricken baumelten und seltener auch rostige Ketten. Ihr Strom war endlos, eine dämonische Prozession, die geradewegs aus den Tiefen der Hölle selbst zu kommen schien. Viele der Männer und Frauen waren auch verstümmelt, wie Janice jetzt bemerkte; Füße und Hände fehlten ihnen, als hätte man sie vor ihrem Tode mit Feuer und Schwert gefoltert.
    Mit einem Mal spürte Janice Land, dass diesen Menschen zu Lebzeiten ein großes Unrecht widerfahren war - und dass sie jetzt aus dem Reich der Toten wiederkehrten, um sich dafür zu rächen. Und diese Erkenntnis war zu viel für ihre angegriffenen Nerven.
    Sie wirbelte herum und stürmte davon, in den Wald hinein, der ihr noch vor wenigen Minuten als der Inbegriff allen Schreckens erschienen war; jetzt kam er ihr wie eine Zuflucht vor, ein Ort, an dem man sich verbergen konnte. Bei ihrer verzweifelten Flucht bemerkte sie nicht einmal, dass sie ihren verletzten Knöchel belastete, als hätte sie ihn sich niemals verstaucht. Das Adrenalin, das durch ihre Blutbahnen hämmerte, machte sie gegenüber körperlichen Schmerzen beinahe unempfindlich.
    Wie von Furien gehetzt, stürzte sie weiter, zwischen den schwarzen Pfeilern der Bäume hindurch - bis etwas sie mit einem entsetzlichen Ruck anhielt.
    Ein grober, starker Männerarm legte sich wie eine tödliche Würgeklammer um ihren Hals. Kalter Stahl presste sich gegen ihre schweißfeuchte Schläfe - die Mündung eines Revolverlaufs.
    »Habe ich dich endlich, du Schlampe«, sagte Billy-Boy, der kleine Cockney.
    Es war das Letzte, was er jemals sagte - wenn man von einigen unartikulierten Schmerzensschreien absah.
    Aus der Dunkelheit des Waldes kamen die Untoten. Billy-Boy bemerkte sie erst, als sie unmittelbar vor ihm zwischen den Bäumen auftauchten. Das Fluoreszieren des Turms schien auf sie übergegangen zu sein, und sie glühten in einem unirdisch bösen Licht.
    Mit einem gellenden Aufschrei ließ Billy-Boy Janice fahren und stolperte zurück. Sein Mund öffnete sich zu einem Grauen erfüllten Stöhnen, und seine Augen quollen ihm beinahe aus den Höhlen, als er den Revolver hochriss und feuerte, in die Menge der näher rückenden Mumien hinein.
    Janice, die auf den Waldboden gesunken war, sah, wie die abgefeilten Dumdum-Geschosse riesige Löcher in die untoten Körper rissen und sie noch mehr entstellten, aber sie sah auch, dass das die unheimliche Schar nicht aufhalten konnte.
    Unmenschlich schnell kamen die lebenden Leichen näher, eine fluoreszierende Flut von grässlichen Leibern, die sich in einer großen Woge über Billy-Boy brach. Die Schreie, die der Gangster ausstieß, waren schrecklich, aber sie hielten gnädigerweise nicht lange an.
    Janice krümmte sich zusammen, übergab sich würgend auf den Boden. Ihrem Magen ging es danach zwar ein bisschen besser, aber ihr Gehirn revoltierte immer noch.
    Als sie aufschaute, sah sie einen Kreis von lebenden Leichen rings um sich, der sich immer dichter zusammenzog. Einer der Untoten - jene Frau, die als Erste aus dem Turm gekommen war - hatte sich ihr schon bis auf wenige Schritte genähert und streckte ihr die Arme entgegen. Erst jetzt bemerkte Janice, dass der Toten eine Hand fehlte. Sie war direkt am Handgelenk abgebrochen oder abgehauen worden, und die Bruchstelle ließ erkennen, dass sich das Fleisch der Mumie längst in trockenen Staub verwandelt hatte.
    Janice überlegte sich, was wohl aus der Hand geworden sein mochte.
    Ein irres Kichern entrang sich ihren Lippen, und sie kauerte sich noch dichter am Boden zusammen. Sie spürte, wie das Entsetzen ihren Geist zu umnebeln drohte. Aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie jetzt wahnsinnig wurde. Dann würde sie wenigstens den Schmerz nicht spüren, wenn sich die lebenden Toten über sie warfen und sie zerrissen.
    Halb irre vor Angst, mit flackernden Augen, verfolgte Janice, wie die Untote ihren zerstörten Arm noch weiter ausstreckte. Millimeter fehlten nur noch, dann musste das tote Fleisch ihre Haut berührten.
    Und vielleicht würde das auch

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