Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
können!« Seine Augen blitzten wie die eines archaischen Kriegers, der zum letzten Gefecht antritt. Raven empfand uneingeschränkte Bewunderung für Seymour Devlins Mut.
Ganz langsam wandte sich Jazz zu dem Schriftsteller um. Zu Ravens Überraschung war seine Stimme trügerisch sanft, als er zu sprechen begann.
Aber seine Worte straften seinen Tonfall rasch Lügen.
»Ich will deine Frau doch gar nicht umbringen, mein Freund«, sagte er mit einem kleinen Lächeln um die Augen. »Dazu finde ich sie viel zu süß. So richtig sexy, in diesem hübschen schwarzen Fummel. Na, was meinst du, Spider? Ist sie nicht wirklich süß, die Kleine?«
Seymour Devlin stöhnte in ohnmächtigem Zorn. Und Spider leckte sich ein bisschen unsicher die Lippen.
»Klar ist sie das«, meinte er langsam. »Genau, wie du es sagst, Jazz. Ein richtig süßes Vögelchen.«
»Dann nimm sie mit nach oben«, schlug Jazz albtraumhaft freundlich vor.
Raven stockte der Atem.
»Du meinst, ich soll ...?«, setzte Spider zögernd an.
»Ich meine, du sollst. Binde sie los und schaff sie rauf. Na, worauf wartest du denn noch?« Er wedelte einladend mit dem Lauf der Maschinenpistole.
Und Spider beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Es bedurfte wohl auch keiner großen Überredungskunst. Seine Zunge leckte wie eine böse kleine Schlange über seine Lippen, und sein Atem ging schon ein bisschen stoßweise vor Aufregung.
Anne Devlin hatte den Kopf gehoben und blickte ihn mit ungläubigem Entsetzen entgegen. Sie brachte kein einziges Wort heraus. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich konvulsivisch. Raven sah, dass sich ihre Muskeln anspannten wie zu verzweifelter Gegenwehr.
Jazz schien das auch zu bemerken, denn er trat mit einem langen Schritt zu dem Sessel, auf dem Seymour Devlin kauerte. Seine Hand schoss vor, packte den Schriftsteller bei den Haaren und riss seinen Kopf nach hinten. Devlin öffnete den Mund zu einem Schmerzensschrei, und Jazz schob ihm den MPi-Lauf in den Mund.
»Mach bloß kein Theater«, sagte Jazz zu Anne Devlin. »Sonst blase ich deinem Alten den Schädel auseinander.«
Janice Land hetzte wie ein gejagtes Tier durch den Wald.
Während sie vorwärtsstürmte, getrieben von der Angst vor ihrem unsichtbaren Verfolger, rissen dornige Ranken an ihrer transparenten Regenpelerine, zerfetzten sie zu langen, hinter ihr her wehenden Streifen, sodass sie längst bis auf die Haut durchnässt war. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, das sie mühsam mit einer Hand schützte, und ihre Füße stolperten wieder und wieder über aus dem modrigen Grund ragende, tückisch von verrottetem Laub verdeckte Wurzeln. Ihr Körper war grün und blau von den Zusammenstößen mit den schwarzen Baumgiganten, die sich in Regen, Nacht und Nebel ihrem Blick entzogen.
Aber das alles kümmerte sie nicht. Sie rannte einfach immer weiter, keuchend und wimmernd. Der Tod saß ihr im Nacken, und sie wusste es. Da konnte es kein Zögern geben.
Sie stürmte hangabwärts. Sie hatte die Topografie der Landschaft nicht im Kopf, aber sie wusste, dass sie in dieser Richtung irgendwann auf die Landstraße treffen würde, und sie traute sich durchaus zu, zu erkennen, an welchem Punkt sie sich dann befand, und zu entscheiden, ob sie sich nach rechts oder links wenden musste, um die Straßensperre mit dem wartenden Streifenwagen zu erreichen. Wenn sie erst einmal Konstabler Price unterrichtet hatte, würde alles wieder gut werden, davon war sie überzeugt. Sie kannte den Konstabler zwar kaum, aber bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte er einen ruhigen, sicheren Eindruck auf sie gemacht. Irgendwie erinnerte er sie an ihren Vater, den sie grenzenlos geliebt hatte.
Der Konstabler würde schon wissen, was zu tun war. Er würde bestimmt die richtigen Maßnahmen einleiten, um Raven und Anne und Seymour Devlin aus den Händen dieser schießwütigen Verbrecher zu befreien!
Janice schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Gangster bis dahin Raven noch nicht umgebracht hatten.
Sie stolperte erneut, fiel hin.
Ein rotglühender Schmerz durchzuckte ihren linken Knöchel, und ein unterdrückter Schmerzensschrei entrang sich ihrer Kehle.
Sie biss die Zähne zusammen, stemmte sich mit den aufgeschürften Händen aus dem Morast und versuchte, wieder auf die Füße zu gelangen, aber dabei verdoppelte sich der Schmerz, und sie musste all ihre Kraft aufbieten, um nicht erneut zu schreien.
Wimmernd sank sie zurück ins schleimige Laub. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie
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