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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Augenblick sein, in dem ihr übermäßig angespannter Verstand endgültig zerbrach ...
    Anne Devlin erlebte die Ereignisse rings um sich wie in einem unwirklichen Traum.
    Sie spürte kaum, wie Spider - der hechelnde, geifernde Spider - ihre Fesseln löste, sie aus dem Sessel hochriss und sie zur Wohnzimmertür stieß. Ihr Verstand kreiste immer nur um den einen verzweifelten Gedanken: Sie dürfen Seymour nichts tun. Sie dürfen Seymour nichts tun. Sie dürfen Seymour nichts tun ...
    Dafür würde sie alles mitmachen, was diese Männer von ihr verlangten.
    Halb von ihren eigenen Füßen getragen, halb von Spider an den Haaren geschleift, taumelte sie aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf. Sie stolperte über die teppichbelegten Stufen.
    Von Spiders Hand mit der Pistole aufgestoßen, öffnete sich vor ihr die Tür des Boudoirs. Hier also würde Spider sie vergewaltigen oder was sonst er auch immer mit ihr vorhaben mochte - in dem Raum, der bisher stets ihre Zuflucht, ihr Refugium gewesen war.
    Das, was ihr bis jetzt wie eine angenehme, warme Höhle erschienen war, kam ihr nun wie ein riesiges Maul vor, das sie fressen wollte. Die seidigen Draperien ihrer Ruheliege wehten ihr entgegen wie dünne, kalte Nebelschleier. Sie schauderte, als der weiche Stoff ihre Haut berührte, sie beinahe wollüstig streichelte. Sie grub die Zähne tief in ihre Unterlippen. Fast fühlte sie sich jetzt schon befingert und beschmutzt ...
    Ziellos irrte ihr Blick durch das so seltsam transformierte Zimmer. Wann hatte sie eigentlich das Fenster geöffnet? Sie konnte sich nicht daran erinnern, aber jetzt stand es jedenfalls einen Spaltbreit offen, und die Fensterbank war feucht von Regen und kondensiertem Nebel. Die Kälte der Nacht, die durch den Spalt hereindrang, ließ sie am ganzen Körper zittern, vor allem, da sie nur das dünne schwarze Chiffon-Hauskleid trug, das ihren nackten Körper fast ungehindert den begierigen Blicken Spiders preisgab. Aber wenigstens hatte er sie noch nicht angefasst ...
    Eine brutale Hand stieß sie vorwärts, quer durch den Raum. Sie stolperte, brach in die Knie. Mit einem Ruck zerrte Spider sie wieder hoch und warf sie auf die Ruheliege. Als sie rücklings auf die weichen Polster schlug, dachte sie: Mein Gott, was wird das alles unserem Baby tun? Wenn sie mich umbringen, wird auch das Baby es nicht schaffen. Ich bin doch erst im siebten Monat.
    Und dann war Spider über ihr, ein Klotz von einem Mann.
    Sie würde alles über sich ergehen lassen, um Seymour zu retten. Dafür war sie sogar bereit, ihr ungeborenes Kind zu opfern. Später - vorausgesetzt, dass sie die Geiselnahme überlebten - konnten sie ja immer noch ein anderes Kind haben. War Seymour aber einmal tot, so würde er nie mehr zurückkehren.
    Und genau in diesem Augenblick, als sie das dachte, geschah etwas Grässliches.
    Etwas kroch über Annes rechten Arm. Es war trocken, kühl und rau, und es hatte sehr viele Beine. Die Berührung jagte einen eisigen Schauer über Annes ganzen Körper. Instinktiv drehte sie den Kopf, um nachzuschauen, was sie da berührte.
    Als sie das Ding sah, stockte ihr Atem. Es war groß und schwarz, beinahe wie eine riesige Spinne, aber es war keine Spinne. Ein, zwei Herzschläge lang weigerte sich Annes Verstand, die wahre Natur dieses Dings zu erkennen, aber dann konnte er sich der Wahrheit nicht länger verschließen.
    Und mit einem Mal spürte Anne doch wieder Gefühle - etwas, was sie eben noch für völlig unmöglich gehalten hatte. Panik und kreatürlicher Abscheu überschwemmten die junge Frau wie eine alle Schutzwälle niederbrechende Flut.
    Das Ding war eine Hand - eine mumifizierte, am Gelenk abgebrochene Hand.
    Und sie kroch mit der Geschicklichkeit und Zielstrebigkeit einer Tarantel über die seidenen Polster der Liege.
    »Spider«, wisperte Anne in das lüsterne Keuchen des Gangster hinein. »Spider - da ...«
    Unwillkürlich hielt Spider inne. Er wandte den Kopf ...
    ... und erblickte das Ding, das böse und schwarz auf dem rosenfarbenen Seidenstoff lauerte.
    Spiders Mund öffnete sich zu einem Schrei des Entsetzens, aber bevor er ihn ausstoßen konnte, schnellte die Totenhand hoch und krallte sich mit allen fünf Fingern in seine Kehle. Unter dem gnadenlosen Zugriff des Dings erstarb Spiders Schrei zu einem Röcheln.
    Seine Augen quollen aus ihren Höhlen, und die Zunge trat ihm zwischen den Lippen hervor. Mit letzter Kraft tastete der Gangster nach dem Ding, das seinen Hals umklammerte und ihm den

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