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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mit sanfter Gewalt aus seiner Umklammerung los, öffnete die Wagentür und stieg aus.
    »Was ist los?«, fragte Marc enttäuscht. »Habe ich plötzlich Mundgeruch oder so was?«
    Sue lächelte. »Nein. Ich - ich habe nur Lust auf eine Zigarette, das ist alles.« Sie schnippte eines der weißen Stäbchen aus der Packung, setzte es in Brand und nahm einen tiefen Zug. Dann lehnte sie sich gegen den vorderen Kotflügel des Ford und blickte auf die Ebene hinunter.
    Hinter ihr krabbelte Marc ächzend aus dem Wagen. Er fröstelte.
    »Du bist gut«, murmelte er. »Erst überredest du mich, mit dir hier herauszufahren, und dann kneifst du.«
    »Ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir zu bumsen«, sagte Sue hart.
    »Eh?«, machte Marc. »Aber wozu denn dann?«
    Sue verzog das Gesicht und schnippte ihre Asche auf den Boden. »Zwei Menschen können, wenn sie allein sind, auch andere Dinge miteinander treiben als Sex«, sagte sie mit gespielter Strenge.
    »Andere schon«, gab Marc zu. »Aber meistens sind sie nicht halb so amüsant.« Er wand Sue spielerisch die Zigarette aus der Hand, nahm einen tiefen Zug, hustete und gab sie ihr zurück. »Also«, sagte er, »was willst du?«
    »Mit dir reden«, sagte Sue. »Und zwar in aller Ruhe. Ohne deinen aufdringlichen Bruder, ohne meine neugierige Mutter und ohne deine Freunde in der Kneipe.«
    Marc zuckte die Achseln. »Bitte. Dann rede. Worüber denn?«
    »Weißt du das wirklich nicht, Dummkopf?«, fragte sie lächelnd. »Ich möchte dich heiraten.«
    »Hei ...« Marc schluckte, schüttelte verwirrt den Kopf und setzte dann noch einmal an. »Heiraten? Mich? Einen arbeitslosen Studenten im 97. Semester?«
    »Arbeitsscheu, nicht arbeitslos«, korrigierte Sue unerbittlich. »Und siebenundneunzig sind es auch nicht. Außerdem bist du nächstes Jahr mit dem Studium fertig, und als Maschinenbauingenieur verdienst du bestimmt genug, mir ein paar Kleinigkeiten wie ein eigenes Haus und zweimal im Jahr Urlaub auf den Seychellen bieten zu können.«
    Marc schien für diese Art von Humor nicht sonderlich empfänglich zu sein. »Im Ernst, Schatz, du weißt, dass mich deine Mutter auf den Tod nicht ausstehen kann.«
    »Du sollst ja auch nicht meine Mutter heiraten«, konterte Sue. »Und in drei Wochen habe ich Geburtstag, und dann werde ich volljährig. Danach sollen meine Eltern mal versuchen, mir ...« Sie brach plötzlich ab, deutete nach Westen und riss ungläubig die Augen auf. »Marc! Was ist das?«
    Marc fuhr herum, folgte ihrem ausgestreckten Arm mit seinem Blick und ächzte.
    Über dem Horizont war ein geheimnisvolles dunkelgrünes Glühen erschienen, ein Ball aus Licht, der wie eine kleine, blasse Sonne vom Himmel herabsank und sich auf die schwarze Silhouette Stonehenges niedersenkte. Plötzlich erschütterte ein hoher, schwingender Ton die Luft, und für den Bruchteil einer Sekunde schienen sämtliche Farben in ihrer Umgebung zu einem krassen, negativen Schwarzweißbild zu werden. Der Boden unter ihren Füßen bebte.
    Dann, genauso schnell, wie das Phänomen entstanden war, verschwand es wieder, und Sue und Marc blickten auf die normale, graue Winterebene hinab.
    »Mein Gott!«, keuchte das Mädchen. »Was war das?«
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Marc. »Ich weiß nicht einmal, ob ich das wirklich gesehen habe oder ob ich träume.«
    »Dann träumen wir denselben Traum«, sagte Sue. »Ich habe es nämlich auch gesehen. Es - es muss irgendwie mit Stonehenge zusammenhängen.«
    Marc schluckte. Er war blass geworden, und seine Hände zitterten; an Sex dachte er jetzt nicht mehr. Und auch Sue spürte die Atmosphäre banger Angst, die sich plötzlich über dem Land ausgebreitet hatte, ein Gefühl, als wäre alles Lebendige schlagartig erloschen und hätte etwas anderem, etwas Bösem und Tödlichem Platz gemacht.
    »Fahren wir zurück«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Vielleicht ist irgendetwas passiert.« Sie wollte sich herumdrehen und wieder ins Auto steigen, aber sie kam nicht mehr dazu.
    Ein dumpfer, berstender Laut drang aus dem Wald hervor, dann erschien ein gigantischer Schatten vor den Bäumen, verharrte einen Herzschlag lang reglos vor dem Waldrand und stürmte mit dumpfem Grollen auf das Mädchen und den Jungen zu.
    Sue stieß einen gellenden Schrei aus, als sie das krakenähnliche Wesen sah. Sie riss die Arme vors Gesicht, taumelte zurück und wäre in den Abgrund gestürzt, wenn sich ihr Fuß nicht in einer Wurzel verfangen und sie zu Fall gebracht hätte.
    Marc

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