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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geglaubt?
    Melissa nickte leicht, legte den Zeigefinger der linken Hand an den Mund und begann nachdenklich am ersten Fingerknöchel zu nagen.
    »Natürlich hast du Recht, Albert«, sagte sie sehr sanft. Le Duc hatte von ihrem raschen Blickwechsel nichts mitbekommen. »Das brauchen wir der Presse tatsächlich nicht zu erzählen. Aber wir können nicht völlig sicher sein, dass nicht vielleicht doch etwas durchsickert - schließlich hat es noch andere Zeugen gegeben. Solltest du nicht wenigstens einen zusätzlichen Wärter hier in diesem Raum postieren, damit es zu keinen Nachahmungstaten kommt? Du weißt schon, so wie bei Selbstmordwellen, die von einem einzelnen Selbstmord ausgelöst werden und sich dann unkontrolliert fortsetzen ...«
    Diesmal schien sie den richtigen Tonfall getroffen zu haben. Le Duc zögerte nur einen Moment lang, dann nickte er. Sein griesgrämiges Gesicht glättete sich ein wenig.
    »Einverstanden, Jet«, sagte er bedächtig. »Das ist eine Sicherheitsmaßnahme, gegen die ich nichts habe.« Er brachte so etwas wie ein Lächeln zuwege. »Dann wird der hier wohl kein Unheil mehr anrichten.« Bei diesen Worten klopfte er leicht auf den Schaukasten mit dem Kristallschädel.
    Unwillkürlich zuckten Raven und Melissa zusammen. Auch das schien Le Duc nicht zu bemerken.
    »Soll ich für Mr. Raven ein Taxi rufen und dich dann mit meinem Wagen nach Hause bringen?«, erkundigte sich Le Duc fast im Plauderton. »Es ist schon kurz vor Mitternacht und ...«
    Melissa schüttelte den Kopf. »Das ist sehr lieb von dir, Albert«, sagte sie mit milder Stimme. »Aber es reicht, wenn du ein Taxi rufst. Mr. Raven und ich wohnen im selben Hotel.«
    Überrascht hob Raven die Augenbrauen. Ein merkwürdiger Zufall, das. Oder überhaupt kein Zufall?
    Le Duc blickte erst Melissa an, dann ihn. In seinen Augen stand etwas, das Raven nicht zu entziffern vermochte. Schließlich drehte sich der Ausstellungsleiter abrupt auf dem Absatz herum und schritt davon, in Richtung seines Büros, wo das nächst erreichbare Telefon stand. Raven und Melissa folgten ihm. Sie gingen dicht nebeneinander, berührten sich aber nicht.
    In der Tür sah Raven noch einmal über die Schulter zurück. Der Kristallschädel lag stumpf und reglos da. Nichts verriet dem Betrachter, welche satanische Macht noch vor wenigen Stunden von ihm ausgegangen war.
    Und jederzeit wieder von ihm ausgehen konnte.
    Erst jetzt fiel Raven auf, dass das Samtdeckchen, auf dem der Schädel lag, rot war. Er erschauerte und beeilte sich, zu Le Duc und Melissa aufzuschließen.
    Aber da war noch etwas anderes, eine vage Spannung, die er noch nicht recht zu deuten wusste. Wenn er sie schon früher einmal gekannt hatte, so musste das sehr, sehr lange her sein.
    Mit einem Achselzucken ging er darüber hinweg. Wenn die Zeit kam, würde er schon merken, was es mit dieser Spannung auf sich hatte. Jetzt wollte er sich darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen. Er war rechtschaffen müde. Er sehnte sich nach einem weichen Bett.
    Zehn Minuten später saßen er und Melissa in ihrem Taxi und waren unterwegs ins Hotel.
    Irgendwo schlug eine Uhr Mitternacht, als Raven den Taxifahrer bezahlte, Melissa aus dem Wagen half und mit ihr die Stufen zur Empfangshalle hinaufstolperte. Hinter der Rezeption saß immer noch das unscheinbare junge Mädchen, das schon Dienst gehabt hatte, als er das Hotel verlassen hatte. Die Abendschicht ging von 18 bis 24 Uhr, aber ihre Ablösung war noch nirgends zu sehen.
    Sie lächelte Raven an, was ihrem kleinen Gesicht gut stand, und Raven lächelte zurück. »Zimmer 37«, sagte er, »s'il vous plaît, Mademoiselle.«
    »Zimmer 37. Aber gewiss, Monsieur Raven«, erwiderte sie, den Schlüssel schon in der Hand. Natürlich wusste sie seine Zimmernummer noch auswendig. Bei der Nennung seines Namens hatte sie am Nachmittag in die Hände geklatscht und ausgerufen: »Raven? Verzei'en Sie, aber Raven, das ist doch der Rabe, nicht wahr? Le corbeau?« Raven hatte genickt. Worauf sie fortgefahren war: »Le corbeau, das sagt man bei uns in Frankreich auch für den 'alsabschneider. Ich 'offe, Sie sind nur der große schwarze Vogel und nicht der 'alsabschneider, Monsieur.« Und ihr Lachen war zwischen ihren unregelmäßigen, aber schneeweißen Zähnen hervorgekullert wie eine Handvoll Perlen.
    Raven nahm mit einem dankbaren Nicken den Schlüssel entgegen und wog ihn in der Handfläche. »Und Ihre Zimmernummer, Miss McMurray?«, erkundigte er sich beiläufig. Sein Blick ruhte

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