Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Verkehr, auch wenn der um diese Tageszeit nicht besonders stark war. Französische Taxifahrer können erstaunlich diskret sein.
Die beiden Männer lachten immer noch, als sie sich im Hotelzimmer des Amerikaners nacheinander frisch machten. Sie lachten, bis die Schulterwunde des Deutschen und das Zwerchfell des Amerikaners schmerzten.
Der Grund für ihren Heiterkeitsausbruch war gleich ein doppelter.
Zum einen lachten sie, weil sie sich nicht erinnern konnten, wann zuletzt ein Bulle so nett mit ihnen umgegangen war wie der Pariser Polizeiinspektor.
Zum anderen lachten sie, weil ihre Aussage ein kleines Meisterstück in der Kunst gewesen war, bestimmte Teile einer Wahrheit so wegzulassen, dass das, was übrig blieb, immer noch wie eine Wahrheit wirkte und somit keinen Anlass zu Zweifeln, unbequemen Fragen und vertiefenden Nachforschungen bot.
Die beiden Männer hatten sich nämlich nicht erst gestern zufällig in ihrem Hotel kennengelernt. Sie kannten sich schon seit Jahren, seit jener Zeit, da sie in Frankfurt beim dortigen Ableger eines großen internationalen Syndikats gearbeitet hatten. Sie waren nämlich keine Touristen, sondern Berufsverbrecher. Und sie hatten sich auch keineswegs zufällig in dem Raum aufgehalten, in dem der Pariser Kristallschädel ausgestellt wurde.
Harald Münzschläger, der Kleiderschrank mit den Preisringerschultern, war seines Zeichens der derzeit fähigste - und teuerste - internationale Profi, wenn es um die Überwindung elektronischer Sperren und das Ausschalten hoch komplizierter Alarmanlagen in Museen und ähnlichen Örtlichkeiten ging.
Die doppelten Böden, hohlen Griffe und versteckten Fächer seiner Koffer, die Schnalle seines Gürtels, die Sohlen und Absätze seiner Schuhe, die Motorgehäuse seines Föns, seines Rasierapparates und seiner elektrischen Zahnbürste sowie etwa zwei Dutzend weitere mögliche und unmögliche Verstecke enthielten sinnreiche elektronische Vorrichtungen und Geräte, über die auf der Gegenseite höchstens die CIA verfügte - lokale Polizeibehörden, ja selbst Interpol konnten von so etwas nur träumen.
Dabei verließ sich Harald Münzschläger durchaus nicht nur auf Elektronik. Seine massige Figur - bei seinen 192 Zentimetern Körpergröße wog er ziemlich genau zweidreiviertel Zentner - täuschte darüber hinweg, wie schnell und behände er sich bewegen konnte. Er trainierte regelmäßig und nahm es im unbewaffneten Nahkampf mit fast jedem Gegner auf. Dass ihn der Amokläufer an der Schulter erwischt hatte, war mehr oder weniger ein dummer Betriebsunfall. Gegen selbstmörderische Irre anzutreten ist immer ein unkalkulierbares Risiko.
In seiner Eigenschaft als Privatmensch war Harald Münzschläger seit zehn Jahren glücklich verheiratet, hatte drei allerliebste Kinder und lebte in Düsseldorf. Er war nicht oft zu Hause, aber das sind Manager oder Fernfahrer ja auch nicht.
Roscoe Smith, sein langjähriger Freund und Partner, war das, was man im militärischen Sprachgebrauch einen »Geleitschutz« nennen würde. Daher war er auch militärisch (oder doch zumindest paramilitärisch) bewaffnet. Unter anderem führte er in seinem Gepäck und in seiner Kleidung die Einzelteile einer Hochgeschwindigkeits-Rifle mit sich, die ursprünglich aus den Arsenalen der U. S.-Army stammte. Die dazugehörenden Selbstlenkgeschosse aus Plastik explodierten im Körper des Getroffenen in tausend kleine Schrapnellsplitter, die sich auch auf den Schirmen der modernsten Röntgengeräte nicht abzeichneten.
Da diese Waffe für ihren derzeitigen Auftrag aber doch vielleicht etwas zu groß ausgelegt sein mochte, hatte Roscoe zur Sicherheit auch noch drei stinknormale Dumdum-Schießeisen (die er vorzugsweise mit schräg abgefeilten Dumdum-Geschossen lud), eine handliche kleine MPi, ein abgesägtes Schrotgewehr und ein halbes Dutzend Handgranaten mitgenommen. Seine liebste Waffe war allerdings ein fußlanger.45er Colt.
Roscoe Smith hatte bisher 16 Menschen getötet, was ihn aber nicht daran hinderte, ganz fidel mit Wein, Weib und Gesang (wie Harald Münzschläger es ausdrückte) weiterzuleben. Ein Gewissen oder etwas ähnliches besaß er nicht. Dafür aber verfügte er über einen Sex-Appeal, der die Frauen trotz seiner eher schmächtigen Gestalt und seines etwas frettchenhaften Gesichts anzog wie das Licht die Motten. Er hatte drei Mal geheiratet und war drei Mal wieder geschieden worden.
Er lebte abwechselnd in einem Apartment in Düsseldorf, einem Penthouse in New York,
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