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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sodass der Obsidiandolch quer durch den Raum davongeschleudert wurde. Irgendwo im Hintergrund landete er klappernd auf dem Boden. Der zweite erwischte den Amokläufer am Brustbein, wobei die Wucht des Schlages und die Wucht des unter Ravens Aufprall vorwärts torkelnden Körpers sich addierten.
    Der ist erledigt, dachte Raven, der selbst, noch etwas durchgeschüttelt vom Zusammenprall mit seinem Gegner, benommen zu dem kleinen Franzosen aufstarrte, während er auf Händen und Knien um ihn herum kroch, zu Melissa McMurray hinüber. Gleich schlägt er lang hin wie ein gefällter Baum.
    Aber der Amokläufer fiel nicht. Seine blicklosen Augen stierten an Melissa McMurray vorbei und richteten sich auf den Kristallschädel in seiner Vitrine. Kleine Flammen schienen sich in ihnen zu entzünden, Flammen von der Farbe glühenden Bernsteins. Ein unirdischer, überwirklicher Schein begann den Ausstellungsraum zu erfüllen.
    Langsam drehte sich Raven um, folgte mit seinen Augen der Blickrichtung des Amokläufers.
    Sein Atem stockte.
    Der Kristallschädel brannte in kaltem, höllischem Feuer. Seine Augenhöhlen waren unheilige Abgründe, aus denen es bernsteinfarben fackelte. Winzige Motten oder Fliegen schienen in diesen feurigen Brunnen des Bösen zu tanzen, aber das konnten auch Phantombilder auf Ravens überreizten Netzhäuten sein. Er schlug die Hände vors Gesicht, versuchte, seine Augen mit den Handflächen vor dem Glosen und Strahlen zu schützen - nicht weil er Angst gehabt hätte, sein Augenlicht zu verlieren, sondern weil er um seine Seele fürchtete.
    Aber seine Bemühungen blieben vergebens - das höllische Bernsteinfeuer des Schädels drang sogar durch seine Hände hindurch.
    »Meister«, wisperte eine heisere, atemlose Stimme direkt neben Ravens Ohr. »Meister, ich komme!«
    Etwas rempelte Raven an, drängelte sich an ihm vorbei. Mit einer verzweifelten Anstrengung zwang sich Raven, die Hände wieder vom Gesicht wegzunehmen, um verfolgen zu können, was da eigentlich vorging. Wenn es dem Amokläufer gelang, sich wieder in den Besitz einer Waffe zu bringen ...
    Die Hände hatte Raven jetzt unten. Der höllische Schein wurde dadurch keineswegs intensiver. Das ermutigte Raven, langsam, sehr langsam nun auch die Augenlider zu heben.
    Der Amokläufer stand mit weit ausgebreiteten Armen vor dem Schaukasten wie ein heidnischer Priester vor dem Altar seines blutbefleckten Götzen. Er schwankte leicht hin und her, zu Tode erschöpft, aber von irgendetwas aufrecht gehalten. Seine gebrochene rechte Hand baumelte schlaff herab. Obwohl sich sein konvulsivisch zuckender Körper zwischen Raven und dem Kristallschädel befand, verdeckte er den Schädel nicht.
    Ravens Sinne begannen ob dieser Unmöglichkeit zu rebellieren. Er hatte das Gefühl, sich in einem fürchterlichen Albtraum zu befinden, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.
    JA, sagte eine ferne und doch zugleich sehr nahe Stimme, die noch kälter und verzehrender war als das Bernsteinfeuer in der Kristallstruktur des Schädels. JA, DAS IST GUT. KOMM ZU MIR.
    Ein letzter Schauer durchrann den Körper des Amokläufers, dann war er völlig ruhig. Mit den Bewegungen einer mechanischen Puppe, deren Uhrwerk beinahe abgelaufen ist, drehte er sich ganz langsam um, wandte sein Albtraumgesicht Raven und der neben ihm stehenden Melissa McMurray zu.
    Denn ein Albtraumgesicht war es, in das Raven und Melissa jetzt starrten. Nichts Menschliches, nichts Lebendiges war mehr darin. Jede Farbe war aus diesem Gesicht gewichen, und die Augen, die eben noch im Widerschein des glühenden Kristallschädels bernsteingelb gelodert hatten, waren zu schwarzen Kohlen ausgebrannt.
    Raven begriff, dass der Mann vor ihnen tot war, auch wenn dieser es selbst noch nicht wusste.
    Ein dünner Lichtblitz zuckte dicht an Ravens Kopf vorbei. Instinktiv wich er zur Seite aus, krümmte sich sprungbereit zusammen. Er begriff nicht, was da eigentlich vor sich ging, bis Melissa mit halb erstickter Stimme »Das Messer, Raven!«, keuchte.
    Dann sah auch er es.
    In der absurd herabbaumelnden Hand des Amokläufers war das Obsidianmesser erschienen, das soeben noch irgendwo hinter Raven und Melissa auf dem Boden gelegen hatte, dort, wo Melissas Handkantenschlag es hingeschleudert hatte.
    Die todesbleichen Finger schlossen sich mit festem, sicherem Griff um den Opferdolch. Beim Aufprall musste die Klinge abgebrochen sein, denn jetzt war nur noch ein ausgezackter, scharfkantiger Stumpf von ihr übrig.
    Und damit schnitt

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