Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Rücken, kroch mühsam zur Kabinenwand und stemmte sich stöhnend daran hoch. Die Schmerzen in seinem Kopf waren unerträglich, und das bizarre Bild vor seinen Augen trieb ihn fast in den Wahnsinn.
Einer der Reiter bewegte sich. Frank versuchte sein Gesicht zu erkennen, aber in der dreieckigen Fläche unter dem riesigen Helm war nichts als wesenlose Schwärze. Das Einzige, was er darin wahrnehmen konnte, waren die Augen. Augen, die unbeschreiblich dunkel und tief waren, schwarze Schlünde, die direkt in die Hölle zu führen schienen und auf deren Grund ein verzehrendes, lichtloses Feuer brannte.
Der Reiter hob den Arm und winkte einen seiner Begleiter zu sich heran. Frank konnte keinen Unterschied zwischen ihnen feststellen. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Aber dieser eine, der sich direkt vor Frank aufgebaut hatte, schien trotzdem so etwas wie ein Anführer zu sein.
»Dein erstes Opfer, Charbadan«, sagte er laut. Er sprach in einer orientalisch klingenden, fremdartigen Sprache, aber Frank verstand die Worte trotzdem. »Töte ihn!«
Der Reiter schwang sich mit einer fließenden Bewegung aus dem Sattel. Frank fiel auf, dass er nicht ganz so groß wie die anderen war. Aber vielleicht kam ihm das auch nur so vor. Der wesentliche Unterschied war seine Haltung. Während die anderen eine tödlich, kalte Entschlossenheit ausstrahlten, schien dieser eher zögernd. Frank konnte sehen, dass seine Hand deutlich zitterte, als er nach dem Säbel griff.
»Töte ihn!«, befahl der Anführer der Reiter noch einmal.
Charbadan machte einen entschlossenen Schritt auf den hilflos Daliegenden zu und hob das Schwert hoch über den Kopf.
Es war lange nach Mitternacht. Das Fest hatte seinen Höhepunkt längst überschritten, und die meisten Gäste waren bereits nach Hause gegangen. Die Kapelle, die den ganzen Abend über gespielt hatte, packte ihre Instrumente zusammen, und für die wenigen Unverdrossenen, die noch auszuhalten gedachten, spielte jetzt nur noch ein tragbares Radio, das einer der Gäste mitgebracht hatte.
Raven gähnte demonstrativ, warf einen langen, bedauernden Blick über die verwaisten Tische und leerte sein Bier. Er fühlte sich müde, aber auf eine wohlige, warme Art, und der Alkohol, den er im Laufe des Abends in sich hineingeschüttet hatte, wärmte seinen Körper von innen heraus.
»Wir sollten langsam nach Hause gehen«, sagte Janice neben ihm.
Raven grinste. »Wolltest du nicht noch bleiben?«
Janice verzog das Gesicht. »Ich wollte noch eine Weile hierbleiben, aber nicht unbedingt in diesem Lokal. Ich hoffe, du bist noch nüchtern genug, um den Unterschied zu begreifen.«
Raven nickte. »Ich bin - vollkommen nüchtern«, sagte er schwerfällig, hob sein Glas an die Lippen und versuchte vergeblich, noch etwas Bier herauszuquetschen. »Ich - werde mir noch ein Bier bestellen«, sagte er mühsam.
»Das wirst du nicht.« Janice schüttelte entschieden den Kopf, nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. »Außerdem wirst du mir jetzt die Wagenschlüssel geben und mitkommen. Wir müssen morgen in aller Frühe raus. Die Fähre wartet nicht auf uns.«
»Du gönnst mir nicht mal ein Bier«, beschwerte sich Raven. »Nicht ein einziges ...«
»Ich habe dir schon viel zu viele gegönnt, wie es aussieht«, entgegnete Janice ernsthaft. Sie stand auf, zog Raven schnaufend hoch und angelte die Wagenschlüssel aus seiner Jackentasche.
Ohne sich nach ihm umzusehen, ging sie zum Parkplatz hinüber. Raven folgte ihr schwankend.
Im Grunde war es eine Schnapsidee gewesen, zu diesem so genannten Volksfest zu fahren, noch dazu am Abend vor ihrer Abreise. Aber er hätte es einfach nicht ertragen, den letzten Abend untätig in einer leeren Pension zu verbringen.
Natürlich war das Fest langweilig gewesen, und die Langeweile in Verbindung mit der unerklärlichen Angst, die immer noch in ihm saß, hatte fast zwangsläufig dazu geführt, dass er zu viel getrunken hatte, aber auch das nützte nichts. Er fühlte sich mieser als vorher, und die Angst war einer dumpfen, bedrückenden Beklemmung gewichen.
Vielleicht wäre es am besten, wenn er Janice davon erzählte. Aber er wollte sie nach allem nicht auch noch mit seinen Problemen belästigen. Sie hatte schon genug Sorgen am Hals.
Er merkte, dass er dicht davor stand, in Selbstmitleid zu versinken. Und das war so ziemlich das Letzte, was er brauchen konnte. Wahrscheinlich würde sich sowieso alles bessern, wenn sie zurück in London waren.
Sie
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