Raven - Schattenreiter (6 Romane)
milden Interesses. »Hatte der Kerl nicht irgendwas mit Thompson zu tun?«
»Eben!«, triumphierte Mallory. »Und da hab ich eins und eins zusammengezählt. Thompson ist unter sehr geheimnisvollen Umständen umgelegt worden, er und seine Gang. Es gibt sogar welche, die behaupten allen Ernstes, dass er von einem Geist erledigt wurde.«
»Ich weiß«, nickte Chuck. »Was nicht gleichzeitig bedeutet, dass ich es auch glaube. Meiner Meinung nach hat sich Thompson damals mit den falschen Leuten angelegt. Aber red weiter!«
»Viel zu reden gibt es nicht mehr«, gestand Mallory. »Ich hab mir halt nur meinen Teil gedacht. Zuerst dieses komische Gespenst, dann die Verbindung zu Thompson - und soviel ich weiß, hat da auch so ein Privatschnüffler mitgemischt.«
Chuck schwieg eine ganze Weile, aber in seinem Gesicht arbeitete es. Natürlich hatte er - wie die gesamte Londoner Unterwelt - von Thompsons Tod und von den mysteriösen Begleitumständen gehört. Ein guter Teil des Reviers, das Chuck jetzt unterstand, hatte einmal Thompson gehört. Und vielleicht war an der Sache wirklich etwas dran.
Er nickte. »In Ordnung, Mallory. Ich werde mir diesen Wilburn mal vorknöpfen. Ich glaub zwar nicht an diesen Gespensterkram, aber wenn in meinem Gebiet jemand anfängt, einen Privatschnüffler zu beauftragen, dann passt mir das sowieso nicht.«
Mallory atmete sichtlich auf.
»Ist noch was?«, fragte Chuck, als der Spitzel nach einiger Zeit immer noch keine Anstalten machte, sich zu entfernen.
Mallory druckste herum. »Nun ... Ich - ich bin im Moment in der Klemme, und da ...«
»Du bist immer in der Klemme«, gab Chuck ungerührt zurück. »Und jetzt hast du gedacht, ich würde dir Geld gehen, wie?«
Mallory nickte zaghaft. »Nur ein paar Pfund, Chuck. Mehr ist nicht nötig.«
Chuck schüttelte den Kopf. »Erst schnapp ich mir diesen Tattergreis und knöpf ihn mir vor. Wenn an deiner Geschichte wirklich was dran ist, kriegst du deinen üblichen Anteil. Wenn nicht ...« Er ließ das Ende des Satzes offen und zuckte die Achseln. »Verschwinde!«
Mallory erhob sich zögernd. Einen Moment lang machte er den Eindruck, noch etwas sagen zu wollen, aber ein eisiger Blick des Gangsterbosses ließ ihn verstummen. Er wandte sich hastig um, verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu.
Chuck wartete, bis seine Schritte auf der Treppe verklungen waren, ehe er aufstand und zum Telefon ging.
Raven parkte seinen metallicgrünen Maserati direkt vor dem Haupteingang der Bibliothek, stieg aus und sonnte sich einen Moment lang in den teils neidischen, teils bewundernden Blicken, die ihn und den Wagen trafen. Um diese Tageszeit wurde die Bibliothek fast ausschließlich von Studenten und Schülern besucht, und der Parkplatz bot ein entsprechendes Bild: Fahrräder und Mopeds herrschten vor, und die wenigen Wagen waren fast alle reif für die Schrottpresse, sodass sein Sportflitzer dazwischen auffiel wie ein zehnkarätiger Diamant in einem Kohleneimer.
Hätten die, die ihn jetzt neidisch begafften, geahnt, dass der Wagen so ziemlich alles war, was er besaß, wären sie wahrscheinlich weniger neidisch gewesen.
Er blieb noch einen Moment lang stehen und genoss die Aufmerksamkeit, die seinem Wagen und seinem besten (und einzigen) Maßanzug gezollt wurde, dann warf er die Tür schwungvoll ins Schloss und lief mit weit ausgreifenden Schritten die steinernen Stufen zum Eingang hinauf.
Er durchquerte den Raum, nickte der grauhaarigen Bibliothekarin hinter der Theke salopp zu und machte sich auf die Suche nach Wilburn. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, den kleinwüchsigen Bibliothekar in seinem Reich aus Papier und Buchstaben zu finden.
Wilburn turnte gerade mit beinahe affenartiger Geschicklichkeit auf einer Leiter herum und angelte nach einem Buch, das ein Besucher aus dem obersten Regalbrett verlangte. Raven hatten den Eindruck, dass Wilburn vor Schreck fast von der Leiter fiel, als er ihn erkannte, aber er begnügte sich mit einem stummen Kopfnicken und wartete schweigend, bis Wilburn das Buch an einen Studenten ausgehändigt hatte.
»Mr. Raven!« Wilburns Stimme klang deutlich erleichtert, als sie endlich allein waren und reden konnten. »Es freut mich, dass Sie so rasch vorbeikommen konnten!«
Raven sah auf die Armbanduhr. Seit Wilburns Anruf war noch keine volle Stunde vergangen. Er hätte noch eher hier sein können, aber er hatte sich absichtlich mehr Zeit gelassen. »Ich habe gerade ein paar freie Minuten zwischen zwei
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