Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Terminen«, sagte er. »Womit kann ich Ihnen helfen, Mr. Wilburn?«
Wilburn antwortete nicht sofort. Ein nervöses Zucken lief über sein Gesicht, und der Blick seiner kleinen, kurzsichtigen Augen huschte nervös hin und her, als befürchte er, belauscht zu werden. »Nicht hier«, sagte er schließlich. »Kommen Sie! Wir gehen in den Aufenthaltsraum. Um diese Zeit ist da niemand.«
Er nahm Raven am Arm und zerrte ihn hinter sich her zwischen den Regalreihen hindurch, bis sie schließlich zu einer kleinen, unauffällig angelegten Tür gelangten. Wilburn öffnete sie, und sie betraten einen winzigen Raum, dessen gesamte Einrichtung aus einem runden Tisch, einem halben Dutzend unbequemer Stühle und einer gleich großen Anzahl grauer Metallspinde bestand. Offensichtlich, dachte Raven, sparte die Regierung das, was sie für die Erhaltung der äußeren Pracht der Bibliothek aufwenden musste, an Bequemlichkeit bei ihren Angestellten wieder ein.
Wilburn schloss sorgfältig die Tür hinter sich und deutete nervös Richtung Tisch. »Nehmen Sie bitte Platz!«
Raven beäugte die niedrigen Stühle misstrauisch und schüttelte dann den Kopf. »Ich stehe lieber, Mr. Wilburn.«
Wilburn nickte nervös. »Natürlich. Ganz wie Sie wollen. Aber ich werde gleich zur Sache kommen, wenn Sie in Eile sind.«
»Das wäre nett.«
»Es geht um das Buch«, sagte Wilburn hastig. »Sie erinnern sich - ich habe ja auch schon angedeutet, worum es sich handelt.«
Raven nickte. »Ja. Aber ich sehe leider keinen Weg, Ihnen zu helfen. Mr. Biggs war nicht bereit, es zu verkaufen, und jetzt, nach seinem Tod, sehe ich schon gar keine Möglichkeit dazu.«
»Ich will es nicht unbedingt haben«, sagte Wilburn. »Es reicht völlig, wenn ich einen Blick hineinwerfen kann. Ich muss es nur eine Minute in Händen halten. Eine Fotokopie einer bestimmten Seite würde schon reichen.«
Raven wurde hellhörig.
»Ich weiß, dass es mich nichts angeht«, sagte er vorsichtig, »aber es würde mich trotzdem interessieren, wieso Sie bereit sind, so viel Geld für eine Fotokopie zu bezahlen.«
Wilburn schien sichtlich zusammenzuschrumpfen. Er wich Ravens Blick aus und begann im Raum unruhig auf und ab zu gehen. »Sie würden mir nicht glauben, würde ich Ihnen die Wahrheit erzählen«, sagte er.
Raven lächelte. »Versuchen Sie's!«
»Unmöglich.« Wilburn schüttelte nervös den Kopf. »Ich verlange nichts Ungesetzliches von Ihnen, Mr. Raven, wirklich. Ich - ich muss das Buch haben. Und zwar schnell.«
Raven wartete sekundenlang. »Sie brauchen nicht das Buch«, sagte er dann. »Sie brauchen den Vierzeiler, den Sie damals vorgelesen haben.«
Es war ein Schuss ins Blaue, aber er hatte getroffen. Raven sah, wie Wilburn wie unter einem Hieb zusammenzuckte. Sein Blick flackerte nervös.
»Wie - wie kommen Sie darauf?«, keuchte er.
»Es war nur eine Vermutung«, sagte Raven. »Professor Biggs hat mich gewarnt, den falschen Spruch zu zitieren. Als Sie es dann doch taten und nichts geschah, war ich beruhigt. Aber nun scheint doch etwas passiert zu sein. Was ist es?«
Wilburn erbleichte. Seine Hände begannen zu zittern, und seine Augen traten so weit aus den Höhlen, als stünde er dem Leibhaftigen persönlich gegenüber. »Sie - Sie wissen ...?«, keuchte er.
»Nicht alles«, bekannte Raven. »Aber Sie brauchen keine Hemmungen vor mir zu haben. Ich weiß zumindest um die Bedeutung des Buches.«
»Dann - dann wissen Sie, dass es ein wirkliches Zauberbuch ist?«, stammelte Wilburn.
Raven nickte ungerührt. »Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die am eigenen Leib erfahren mussten, dass das Wort Magie mehr bedeuten kann als billige Taschenspielertricks«, sagte er seufzend. »Aber das ist eine andere Geschichte. Ich werde Ihnen helfen, das Buch zu bekommen, Wilburn. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Wilburn nickte, setzte sich und verbarg das Gesicht in den Händen. Seine Stimme zitterte so stark, dass Raven Mühe hatte, die Worte zu verstehen. Aber er hörte geduldig zu, und seine Beunruhigung wuchs mit jedem Satz, den er hörte.
»Die Situation ist, vorsichtig ausgedrückt, alles andere als gut«, murmelte er, als Wilburn geendet hatte.
»Dann - glauben Sie mir?«
Raven nickte düster. »Das muss ich wohl«, sagte er. »Ich scheine Ereignisse dieser Art anzuziehen wie ein Komposthaufen die Fliegen«, fügte er hinzu. »Aber das spielt jetzt keine Rolle. Wie viel Zeit bleibt uns genau?«
Wilburn zuckte die Achseln. »Wenige Tage, sagte Merlin. Er
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