Raven - Schattenreiter (6 Romane)
verdammt knapp gewesen. Dieser Raven wusste entschieden mehr, als zu verantworten war.
»Das hast du gut gemacht«, grollte eine Stimme hinter ihm.
Jeffrey drehte sich langsam um. Der Schattenreiter war wieder erschienen. Seine gigantische, halb durchsichtige Gestalt wogte wie Nebel vor dem Südfenster.
»Dieser Mann weiß zu viel«, sagte Jeffrey leise. »Er kann zu einer Gefahr für uns werden. Ich muss weg. Am besten, ich verlasse London so schnell wie möglich.«
»Damit würdest du nur den Verdacht auf dich lenken«, sagte der Dämon. »Überlass Raven mir! Ich werde dieses Problem regeln.«
»Also, wenn du mich fragst«, sagte Janice, »solltest du ausnahmsweise einmal darauf hören, was man dir rät, und die Finger von der Sache lassen.« Sie nippte vorsichtig an ihrem heißen Kaffee, verzog anerkennend das Gesicht und nahm einen größeren Schluck. »Als Detektiv bist du eine Niete, aber Kaffeekochen kannst du«, stichelte sie.
Raven bedachte sie mit einem eisigen Blick. »Ich denke ja nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was passiert. Ich habe einmal geglaubt, an einen Verrückten geraten zu sein. Als Ergebnis ist mein Klient tot.«
Janice verzog unwillig das Gesicht. »Du redest Blödsinn, mein Lieber. Der oder die Mörder haben es immerhin geschafft, in ein Haus einzudringen, das eine bessere Festung ist. Sie sind mit drei ausgebildeten Wachmännern fertig geworden. Glaubst du wirklich, dass du Pendrose hättest schützen können?«
Raven zuckte mit den Schultern.
»Sei froh, dass du nicht da warst«, fuhr Janice fort. »Sonst wärst du jetzt vielleicht auch tot.«
»Möglich. Vielleicht wäre Pendrose aber auch noch am Leben.«
»Was willst du jetzt unternehmen?«
»Das weiß ich selbst noch nicht genau. Wahrscheinlich werde ich noch einmal zu Card gehen und mit ihm reden. Er ist zwar ein Widerling, aber wenn es mir gelingt, ihn zu überzeugen ...« Er brach ab, runzelte die Stirn und starrte einen Augenblick lang konzentriert zum Fenster hinüber.
»Was ist los?«, fragte Janice.
»Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, murmelte Raven abwesend.
»Gesehen?« Janice' Augenbrauen rutschten ein Stück in die Höhe. »Wir sind hier in der neunten Etage, Liebling.«
»Ich weiß, aber ...« Er verstummte, stand auf und ging zum Fenster hinüber. Er war sicher, dass er eine Bewegung gesehen hatte; ein schnelles, undeutliches Huschen in den Augenwinkeln, das sofort verschwand, als er genau hinsah.
Es war nicht das erste Mal, dass er ein solches Erlebnis hatte. Vorhin, auf dem Weg hierher, war ihm das Gleiche passiert. Er hatte plötzlich das Gefühl gehabt, nicht allein im Wagen zu sein, und auf dem Beifahrersitz neben ihm schien irgendetwas wie ein mächtiger dunkler Schatten zu kauern.
Aber als er hingesehen hatte, war der Sitz leer gewesen.
Er trat ans Fenster und sah hinaus. Die Stadt lag friedlich wie immer unter ihm. Nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas anders war als sonst. Und doch spürte Raven, dass sich etwas geändert hatte. Irgendetwas Fremdes, Störendes hatte sich in das Bild gemischt, etwas, das er nicht erkennen oder gar erklären konnte, und das doch da war.
»Ich glaube, du hast Recht«, sagte er nach einer Weile. »Ich fange auch schon an, Gespenster zu sehen.« Er lächelte aufmunternd. »Was meinst du - gehen wir heute Abend ins Theater?«
»Gern.« Sie stand ebenfalls auf, kam mit ein paar raschen Schritten zu ihm hinüber und schlang die Arme um seinen Hals. »Und hinterher gehen wir irgendwo gemütlich essen, ja?«
Er nickte. »Sicher. Ich ...«
Das Schrillen des Telefons unterbrach ihn. Raven sah auf, runzelte ärgerlich die Stirn und löste Janice' Arme behutsam von seinem Hals.
»Immer im unpassendsten Moment«, schmollte Janice.
Das Telefon klingelte zum zweiten Mal, als Raven abhob.
Es war Card.
»Raven?«
Raven nickte automatisch. »Ja. Gut, dass Sie anrufen, Inspektor - ich wollte mich sowieso heute bei Ihnen melden.«
»So?« Cards Stimme klang gepresst. Raven konnte sich gut vorstellen, wie der dickleibige Inspektor jetzt hinter seinem Schreibtisch saß und wütend das Telefon anstarrte. Es war schon immer Ravens Prinzip gewesen, jemanden, der etwas Unangenehmes wollte, nach Möglichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Ich war vorhin bei Candley«, sagte er hastig, bevor Card Gelegenheit hatte loszupoltern. »Es war ein ziemlich interessantes Gespräch.«
»Ich weiß«, grollte Card. »Er hat vor zehn Minuten
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