Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Ehefrauen nachzuspüren, brachte nun einmal nicht besonders viel ein. Und der einzig aufregende Fall, den er jemals gehabt hatte ... Raven dachte mit Schaudern an seine Begegnung mit dem Schattenreiter zurück. Aber das Einzige, was ihm geblieben war, waren zwei dünne weiße Narben auf seinen Handflächen. Die Prämie, die Candley ihm gezahlt hatte, nachdem er den unheimlichen Dämon besiegt hatte, war zum Großteil zur Tilgung seiner Schulden draufgegangen.
Die Flugkarte für Janice hatte praktisch seine letzte Barschaft aufgebraucht. Aber die Ausgabe hatte sein müssen - Janice' Erbtante war lebensgefährlich erkrankt, und sie hatte außer Ravens Verlobter und Sekretärin keinerlei Verwandtschaft mehr. Niemanden, der sich um die alte Frau kümmerte. Und, wie Janice in einem seltsamen Anflug schwarzen Humors gemeint hatte, niemanden, der sich um ihr Vermögen kümmerte ...
Raven hatte den Wagen vor dem Apartmenthaus geparkt, in dem seine Büroräume lagen. Er setzte einen möglichst konzentrierten Gesichtsausdruck auf und durchquerte die Eingangshalle mit gesenktem Kopf. Der Portier sah auf, als er die Liftkabine fast erreicht hatte.
»Ah, Mr. Raven. Ich ...«
Raven winkte ab und drückte den Rufknopf. »Jetzt nicht, John. Ich muss über einen komplizierten Fall nachdenken.«
Die Kabine kam, und Raven huschte mit einem raschen Satz in den Lift, bevor der Portier Gelegenheit zu weiteren Einwürfen hatte. Er atmete innerlich auf, als die Türhälften zuglitten und sich der Aufzug mit sanftem Rucken in Bewegung setzte.
Aber die Erleichterung war nur von kurzer Dauer.
Vor seiner Wohnungstür stand ein Mann. Etwa vierzig, fünfundvierzig Jahre alt, groß, dezent gekleidet und mit einer schmalen, hellbraunen Aktentasche bewaffnet. Raven hatte den Mann zwar noch nie zuvor gesehen, aber er wusste trotzdem, wen er vor sich hatte.
Gerichtsvollzieher erkannte er auf hundert Fuß und mit geschlossenen Augen.
Er atmete tief ein, zog seinen Wohnungsschlüssel hervor und öffnete die Tür.
»Kommen Sie rein«, sagte er unfreundlich.
Ein knappes, einstudiert wirkendes Lächeln huschte über die Züge des Mannes. »Mr. Raven?«
»In voller Größe.« Raven schob die Tür mit dem Fuß zu und deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf einen freien Platz. »Setzen Sie sich! Ich stehe Ihnen in einer Minute zur Verfügung.« Er machte Anstalten, im Nebenzimmer zu verschwinden, aber der andere war mit einem raschen Schritt neben ihm.
»Es wird nur einen Augenblick dauern, Mr. Raven«, sagte er ruhig. Er klappte seine Aktentasche auf und förderte ein eng beschriebenes Stück Papier zutage. »Mein Name«, begann er, »ist Hanson. Ich bin Gerichtsvollzieher und komme im Auftrag der Hausverwaltung.«
Raven schluckte trocken. Er wusste zwar, dass er seit zwei Monaten mit der Miete im Rückstand war, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass die Immobiliengesellschaft so schnell reagieren würde.
»Sie ... äh ... kommen wegen der Miete?«, fragte er vorsichtig.
Hanson nickte. »Richtig. Es wäre da ein Betrag von 1355 Pfund Sterling fällig. Einschließlich Zinsen, versteht sich.«
Raven nickte, griff nach dem Formular und warf einen flüchtigen Blick darauf. »Tja, Mr. Hanson. Ich ... ähm ...«
»Haben Sie das Geld oder nicht?«, fragte Hanson mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck.
Raven zögerte einen Herzschlag lang, dann schüttelte er den Kopf. »Wenn Sie mich so fragen - nein.«
Hanson nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Dann, so leid es mir tut, Mr. Raven, sehe ich mich leider gezwungen, Sie zur sofortigen Räumung der Wohnung aufzufordern. Das entbindet Sie natürlich nicht von der Verpflichtung, die rückständigen Beträge doch noch zu begleichen.« Er zog einen Schreibblock hervor und begann irgendetwas darauf zu kritzeln.
»Einen Moment, Mr. Hanson«, sagte Raven. »So schnell geht das nicht.«
»Doch«, entgegnete Hanson, ohne aufzusehen. »So schnell geht das.«
»Aber - Sie können mir wenigstens eine Galgenfrist lassen.«
Hanson lächelte, steckte seinen Block weg und klappte seine Tasche zu. »Das könnte ich. Aber sehen Sie, Mr. Raven, wir haben natürlich Erkundigungen über Sie eingezogen. Ich glaube nicht, dass Sie die Summe innerhalb von 48 Stunden besorgen könnten. Oder?«
Raven atmete hörbar ein. »Ich kann es wenigstens versuchen«, sagte er.
Hanson sah ihn durchdringend an.
Schließlich zuckte er mit den Achseln. »Bitte. Ich muss Sie aber der Ordnung halber darauf hinweisen,
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