Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
Falter.
    Der wolfartige Kommissar nickte nur stumm.
    Â»Gut«, resümierte Lord Hester. »Dann hebe ich die Runde hiermit auf und wünsche allen eine geruhsame Nacht. Wir treffen uns morgen wieder. In der Zwischenzeit haben wir alle hoffentlich einen Geistesblitz.«
    Er stand auf und empfahl sich mitsamt seiner krächzenden Meute großer, schwarzer Vögel.
    Als sich die anderen grübelnd und still voneinander verabschiedet hatten, fiel Lara auf, dass die Dämmerung tatsächlich nicht nur eingesetzt hatte, sondern auch zu einem guten Teil fortgeschritten war.
    Â»Gehen wir zurück zur Burg?«, fragte Lara, als sie draußen vor der Bibliothek im Halbdunkel standen.
    Â»Ich habe da noch eine Kleinigkeit zu erledigen«, war Toms Antwort. »Wenn du willst, kannst du mitkommen. Außerdem könnten wir auf dem Weg etwas essen.«
    Natürlich würde sie mitkommen. Was sollte sie auch sonst tun an einem einsamen Abend in Ravinia? Die anderen waren nach und nach gegangen, erschöpft von ihren Nachforschungen und besorgt über die Entwicklung der Ereignisse. Lee und Berrie waren in Richtung des Rondells verschwunden, nicht ohne dass Liza Lee noch ihre Bekanntschaft aufgedrängt hatte – und leider schien das dem Jungen, dessen Augen Abgründe und Sprungbretter zugleich sein konnten, nicht allzu sehr zu missfallen. Baltasar und Mr Falter waren rauchend und murmelnd in Richtung Kommissariat verschwunden, Liza bog gerade hinter der Synagoge zum botanischen Garten ab, Christopher Davenport hatte sich in seine Bücher vergraben, und Geneva war mit wehenden Haaren und nachtschwarzem Mantel aufgebrochen und Sekunden später zwischen den Schatten verschwunden. Ihr Blickkontakt mit Tom, der irgendwo zwischen unerträglicher Traurigkeit und stiller Zuversicht gelegen hatte, war Lara entgangen, und so folgte sie dem blassen Schlüsselmacher ahnungslos durch die Straßen und Gassen dieser seltsamen Stadt.

    War es nicht so, dass die Welt alle naselang irgendwelche Seltsamkeiten gebar?
    Laras Laune hatte sich gesteigert, als ihr der Magen geknurrt hatte. Nein, eigentlich nicht direkt in diesem Moment, denn als sich zu der ganzen Grübelei der letzten Stunden auch noch ein Hungergefühl gesellte, war dies kein lichter Moment an diesem Tag. Lichter wurde es erst, als Tom meinte, sie hätten zwar den ganzen Tag noch nichts gegessen, sich aber immerhin mit diversen Leuten zusammen den Kopf zerbrochen und obendrein noch mit einer seltsamen Rebe in den botanischen Gärten geprügelt. Und so hatte er eine Tür aufgeschlossen und Lara mir nichts dir nichts in die Victoria Street in Edinburgh geschoben. Sie war mit Tom den Grassmarket hinuntergetrödelt, wo sie sich beide eine große Portion Fish and Chips zum Abschluss eines miserablen Tages gegönnt hatten, bevor Tom in einer Gasse wieder eine Tür nach Ravinia aufgeschlossen hatte.
    Nun ging sie einige Schritte hinter Tom her durch ein mondgelb beschienenes Ravinia und fischte die letzten Chips aus der Papptüte. Satt und mit etwas hellerer Miene stellte sie jedoch fest, dass Papierkörbe in Ravinia Mangelware waren. Sie konnte sich auch vorstellen, was die Leute mit ihrem Müll taten, denn selbst dann, wenn die Menschen Ravinias Europa, Amerika und all die anderen etwas wirklicheren Kontinente absolut nicht ausstehen konnten, waren sie sicherlich dennoch gut genug, um ihren Müll zu entsorgen.
    Tja, dachte Lara, so war die Welt.
    Voller Seltsamkeiten.
    Aus dem Augenwinkel nahm sie ein hölzernes Straßenschild wahr, auf dem in verschnörkelter geschnitzter Schrift Gobelingasse stand. Sie überlegte kurz, was ihr der Name sagte, schüttelte aber den Kopf. Wahrscheinlich war sie einfach nur müde nach einem langen Tag. Und so wandte Lara McLane den Blick wieder dem Kopfsteinpflaster zu. Vielleicht war es ihre Unachtsamkeit, vielleicht lag es aber auch am versiegenden Zwielicht der Dämmerung und den noch nicht angezündeten Straßenlaternen in der Gobelingasse, dass ihr das leer stehende Haus mit den vernagelten Fenstern, das unbeleuchtet in einem Winkel der Gasse lag, nicht auffiel. Vielleicht war es auch die abblätternde, nicht mehr sehr gut lesbare Schrift auf dem Schild vor der Tür. Vielleicht war es auch das immer wieder zu verfluchende Schicksal. Letztlich war es egal, denn Lara entdeckte an diesem Abend nicht, dass auf dem ungepflegten Schild am Eingang des ungepflegten

Weitere Kostenlose Bücher