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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Hauses das Wort McLane stand – neben einem stilisierten Schlüssel. Auch Tom machte keinerlei Anstalten, Lara darauf aufmerksam zu machen. Möglicherweise war er im Grunde seines Herzens auch froh, dass Lara es nicht entdeckte, sodass er nicht wieder den temperamentvollen Unmut des Schlüsselmachermädchens abfedern musste.
    Stattdessen bogen sie in die andere Richtung ab zu einem winzigen Fachwerkhaus, in dessen Erdgeschoss sich offenbar eine Werkstatt befand, in der noch Licht brannte.
    Â»Es könnte jetzt vielleicht ein wenig gruselig werden«, warnte Tom sie.
    Lara zuckte die Achseln, einmal mehr davon überzeugt, es könne sie in dieser Stadt nichts mehr schockieren. Dabei hatte sie erst einen winzigen Teil der Stadt gesehen, und Tom hätte sicherlich auf Anhieb eine Handvoll Schauerlichkeiten aufzählen können, die einem in der Stadt der besonderen Talente noch widerfahren konnten. Ganz zu schweigen von den Absonderlichkeiten des düsteren Epicordias.
    Aber so klopfte Tom einfach an die Tür der Werkstatt. Eine kleine, in die Tür eingelassene Klappe öffnete sich, und zwei eng zusammenstehende alte Augen starrten heraus und musterten Tom mürrisch.
    Â»Wer seid Ihr?«, meckerte ein dünnes, altes Stimmchen.
    Â»Tom Truska«, stellte Tom sich vor.
    Die Augen weiteten sich.
    Â»Der Schlüsselmacher?«
    Tom nickte.
    Die Klappe ging zu, Schlüssel wurden gedreht und Riegel beiseitegeschoben. Als die Tür schließlich aufging, stand ein kleiner, schmächtiger, alter Mann mit einem dünnen Ziegenbärtchen, zerzausten Haaren und einer Nickelbrille vor ihnen. Er war in eine lederne Arbeitsschürze gekleidet und sah ein wenig südländisch aus.
    Natürlich, dachte Lara erneut. Ravinia war nun einmal die Stadt der alten Meister, wie Alistor Sullivan ihr gesagt hatte. Er hatte offenbar nur zu recht.
    Â»Welch eine Ehre«, bemerkte die meckernde Ziegenstimme des Mannes. »Womit kann ich Euch dienen zu so später Stunde?«
    Â»Ich brauche ein Auge«, erklärte Tom knapp.
    Die buschigen, ergrauten Augenbrauen des Mannes huschten interessiert nach oben, während Lara sich über Toms Bitte wunderte. Aber jetzt, wo er es erwähnt hatte – irgendetwas schien mit den Augen des Mannes nicht zu stimmen. Jedoch hätte sie auf Anhieb nicht sagen können, was es war.
    Â»Kommt doch herein!«, forderte der Ziegenmann Tom und Lara auf. »Wir finden sicherlich etwas, das euch zusagt.«
    Tom und Lara betraten die Werkstatt, während ihr Besitzer die Tür hinter ihnen zuschloss. Plötzlich wünschte Lara sich verzweifelt, kein Abendessen zu sich genommen zu haben, denn was sie hier vorfand, war nicht dafür gemacht, dass Leute es mit vollem Magen betrachteten.
    Dies war die Werkstatt eines Glasbläsers, und der alte, kleine Ziegenmann musste der Glasbläser sein, folgerte Lara. Doch war es keine gewöhnliche Glasbläserwerkstatt – so wie natürlich keine Werkstatt in Ravinia eine gewöhnliche Werkstatt war.
    Neben einem Ofen, dessen Glut sich langsam zur Ruhe begab in diesen Abendstunden, und einer Reihe höchst skurriler Werkzeuge, die einem Glasbläser neben dem Blasrohr vielfältige Möglichkeiten zur Gestaltung seiner Werke gaben, befand sich darin noch ein auf Tische und Regale verteiltes Sammelsurium an gläsernen Kunstgegenständen. Was Laras Magen jedoch beschäftigte, war eine einfach gehaltene, gläserne Vitrine, in der sich eine Auswahl von Glasaugen befand. Jedes für sich ein außergewöhnliches Kunstwerk feinster Handarbeit. Doch diese Glasaugen waren – lebendig. Sie schienen zu pulsieren, oder zumindest die feinen Äderchen auf ihnen taten es. Die Linsen zogen sich fortwährend zusammen und entspannten sich wieder, so als wollten sie ihren Blick auf nahe und ferne Gegenstände im Raum richten; die Iriden weiteten und verengten sich andauernd wie bei richtigen Augen, die außerhalb des Körpers für ihren Einsatz probten.
    Lara stand mit offenem Mund vor der Vitrine, ihr Körper empfand eine höchst ungewöhnliche Mischung aus Faszination und abgrundtiefem Ekel. Plötzlich fiel ihr ein, was ihr an den Augen des ziegenartigen Glasbläsers so merkwürdig vorgekommen war, und sie schüttelte sich.
    Â»Welche Farbe soll es denn sein?«, fragte der Glasbläser Tom im Hintergrund.
    Â»Smaragdgrün«, sagte dieser knapp, und

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