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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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dieselben Grachten. Nur die Wolken hatten ein tieferes Grau angenommen als das blasse, schmutzige Grau des Januars. Nicht nur Ravinia, auch die Niederlande schienen unter dem schweren Mantel bleigrauer Regenwolken zu liegen, doch noch waren die Steine des Kopfsteinpflasters trocken, während die Luft bedrohlich grollte.
    Sie verloren keine Zeit und hetzten mit langen Schritten zum Münzturm, dorthin, wo sie auch zuvor schon gewesen waren. Langsam braute sich in Laras Kopf ein Unwetter der Erkenntnis zusammen, das dem bevorstehenden Gewitter über der Stadt mit den Wasserstraßen in nichts nachstand. Erneut klopfte Tom den unscheinbaren Rhythmus an die Tür und wartete unruhig, bis sie endlich aufsprang. Drinnen hetzten sie die verstaubte Treppe hinauf in das Atelier des finsteren Seelenzeichners. Tom sprang als Erstes durch die Tür und blieb abrupt stehen.
    Das Chaos in diesem Geschoss des Turms konnte sich mit demjenigen in der Suite in Dubai durchaus messen. Doch es schien beinahe noch schlimmer zu sein. Alles Papier, das hier einst gestapelt war, all die finsteren, abgründigen Zeichnungen, alle Arbeitsmaterialien waren zerfetzt und bedeckten in winzigen Schnipseln den Boden, dessen uralter Staub aufgewirbelt war und Lara husten ließ.
    Am anderen Ende des Raumes lag die Tischplatte des Zeichentisches entzweigebrochen über der Leiche des grausigen Malers Nicolaes.
    Die unheimliche Leinwand lag auf einer zerknickten Staffelei daneben und war schwarz, wie ein ausgeschalteter Bildschirm.
    Langsam, beinahe bedächtig durchquerte Tom den Raum, wobei er Papierfetzen aufwirbelte wie Herbstlaub.
    Er beugte sich über den dürren buckligen Körper, betrachtete ihn einige Sekunden, dann wandte er sich ab und schüttelte den Kopf. Als Lee ihm durch das papierne Chaos folgen wollte, kam Tom schon wieder zu ihnen zurück.
    Â»Er bringt sie alle um, oder?«, hauchte Lara von Entsetzen gepackt. Ihr wurde kalt, und sie wunderte sich, dass ihr Atem nicht zu Nebel kondensierte.
    Tom nickte nur, bevor er sich an ihr vorbeidrängelte, die Tür zuzog und dann einen weiteren Schlüssel ins Schloss steckte und ihn klackend drehte. Als er wieder aufmachte und den Schlüssel aus der offenen Tür herauszog, lag davor eine Gasse in Ravinia. Sanft schob er Lara hindurch, Lee folgte schweigend und schließlich auch Tom selbst.

    In manchen Momenten scheint die gesamte Welt zu rasen. Sie scheint sich schneller und schneller zu drehen, und die Zeit, die man eigentlich sowieso nicht hat, scheint wie ein reißender Strom viel zu schnell vorbeizurauschen, ohne dass man etwas dagegen tun könnte.
    Â»Die Gobelingasse. Ist das dort, wo auch der Glasbläser seine Werkstatt hat?«, fragte Lara, während sie durch die Straßen und Gassen von Ravinia eilten.
    Â»Ja«, sagte Tom. »Macht es dir etwas aus, das Nachdenken über deine Vergangenheit ein wenig zurückzustellen und dich ein wenig mehr mit der Gegenwart zu beschäftigen?«
    Â»Hm«, machte Lara und überlegte, ob sie eingeschnappt sein oder Tom zugestehen sollte, dass er recht hatte.
    Ein Rabe flatterte krächzend über sie hinweg.
    Â»Corax!«, rief Tom in die Luft und blieb stehen, während der Rabe eine Schleife flog, um kurze Zeit später über ihnen auf dem Rand einer Regenrinne zu landen.
    Â»Hat einer von euch beiden ein Stück Papier dabei?«, fragte Tom, woraufhin Lee ihm einen Kassenbon, den er in seiner Geldbörse fand, reichte.
    Tom zog einen Kugelschreiber aus einer Innentasche seines Mantels und kritzelte hastig einige Zeilen auf das Papier. Dann holte er seine eigene Geldbörse heraus und zückte eine Fünf-Pfund-Note.
    Â»Na komm schon runter!«, forderte er den Raben auf, der sich daraufhin mit den mächtigen Schwingen flatternd auf einem Fenstersims neben Tom niederließ. Erst jetzt bemerkte Lara, dass der Rabe ein winziges Täschchen an seinem Bein befestigt hatte. Doch bevor sie sich wundern konnte, da die Raben ihre Post doch sonst in den Krallen transportierten, bekam sie die Antwort auf die Frage, wozu die kleine Tasche dienen mochte.
    Â»Das hier«, Tom hielt den zusammengerollten Kassenbon in der Hand, »muss so schnell es irgendwie möglich ist zu Keiko Ito in die botanischen Gärten.«
    Â»Krah, ich bin ja nicht blöd, Mann«, krächzte der Rabe und schnappte sich mit einem Fuß die dargebotene Nachricht.
    Â» Das hier «, fuhr Tom

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