Ravinia
hatte lernen müssen in dieser Zeit. Nicht nur für die Schule, sondern vor allem alles über Schlüssel. Handwerk war Handwerk und musste gelernt werden. Schlüssel mit besonderen Eigenschaften zu machen, stand erst einmal gar nicht auf dem Programm. Und wie sie befürchtete, würde das auch eine lange Weile so bleiben. SchlieÃlich musste sie zunächst alles über Schlüssel und Schlösser lernen und verinnerlichen. Später würde auch das Uhrmachen hinzukommen. Wie schnell sie vorankam, hing laut Baltasar davon ab, wie schnell sie von Begriff war.
Für Mechaniker aus Ravinia gab es keine Lehrpläne. Niemand hatte jemals festgeschrieben, was ein Mechaniker zu lernen hatte. Lediglich an ihre Gesellen- und Meisterstücke wurde ein gewisser Anspruch gestellt. Doch ein Meisterstück anzufertigen und vor dem Stadtrat von Ravinia damit zu bestehen, war etwas ganz Besonderes.
Auch gab es keine vorgeschriebene Richtung, in der man sich mit Mechanik auseinanderzusetzen hatte. Da gab es Schlüsselmacher und Schlosser, Uhrmacher, Spielzeugmacher, Werkzeugmacher und viele andere. Vereinzelt gab es sogar Waffenbauer. (Von denen hielt Baltasar allerdings ganz und gar nichts. Er war der Auffassung, dass jemand, der seine Talente zum Zwecke der Zerstörung einsetzte, in Ravinia nichts verloren hatte. Offenbar wurde das nicht allerorts so eng gesehen.) Es war wie in uralten, längst vergessenen Zeiten. Ein Lehrling war von dem Gutdünken seines Meisters abhängig.
So lernte Lara, und lernte. Alles über Buntbart- und Zylinderschloss-Schlüssel, Berliner Schlüssel, Bohrmuldenschlüssel und andere Methoden, Schlösser zu öffnen und zu verschlieÃen. Sie übte, mit Federn und Stiften umzugehen und Schlüssel zu kopieren. Einfache und schwere. Sie erfuhr alles über SchlieÃtechniken und Gravuren, über fälschungssichere Schlüssel und Rohlinge.
Vor allem aber lernte sie etwas über Metalle und Legierungen. Metalle waren nicht nur der Rohstoff eines jeden Schlüssels, sondern ein Teil seiner Seele. So sagte Baltasar zumindest.
Wer besondere Schlüssel schaffen wollte, kam nicht darum herum, sich mit Metallen auseinanderzusetzen, um zu lernen, wie sich verschiedene verbinden und in Schlüssel einarbeiten lieÃen.
So waren Laras Tage gefüllt bis an den Rand, und manchmal, wenn sie wieder lange im Laden gewesen war, musste sie sich den Tadel ihres GroÃvaters für ihren Ãbereifer anhören.
In dieser Zeit begann sie, sich auch über Tom zu wundern, dessen Leben aus Schlüsseln und Uhren zu bestehen schien. Tom war immer da. Wenn Lara morgens vor der Schule kurz in der Victoria Street vorbeischaute, war Tom ebenso schon da wie abends, wenn es mal wieder viel zu lang für sie geworden war. Dann war Tom immer noch da, auch wenn sich Baltasar schon lange ins obere Stockwerk zurückgezogen hatte.
Tom war Baltasars Geselle. Etwas, das ihr ebenfalls seltsam erschien. Soweit ihre erst langsam geübten Augen es zu beurteilen vermochten, konnte Tom noch erheblich geschickter mit Werkzeugen, Metallen und Zahnrädern umgehen als Baltasar. Tom schwamm praktisch in einem Strom aus mechanischem Talent. Sie bezweifelte bisweilen, ob sie es jemals so weit bringen würde.
Brachte jemand eine defekte Uhr, so brauchte Tom meistens nur einen kurzen Blick darauf zu werfen und schon wusste er, wo es hakte.
Warum Tom Truska allerdings kein Meister war, wusste Lara nicht. Und sie würde ihn auch nicht fragen. Denn so still und mürrisch Tom auch häufig war, so mochte sie ihn doch gern, und sie würde sich hüten, ihm unangenehme Fragen zu stellen.
Manchmal â allerdings sehr selten â durfte sie Tom oder Baltasar nach Ravinia begleiten, um ein Geschäft abzuwickeln oder bei einem der skurrilen Händler ein besonderes Metall wie Wolfram, Wismut oder Kobalt zu erstehen. Um selbst nach Ravinia gelangen zu können, hatte Baltasar ihr aufgetragen, einen Schlüssel anzufertigen, der sie dorthin bringen würde. Auf Laras Protest hin, dass ein Malerlehrling, der nach Ravinia wollte, wohl kaum einen eigenen Schlüssel anzufertigen bräuchte, meinte Baltasar nur, dass sie ja schlieÃlich auch keine Malerin werden wolle. AuÃerdem würde es sie anspornen.
Lara war dies ganz und gar nicht recht gewesen, und sie hatte ihren GroÃvater nach einem Schlüssel gefragt. Doch der hatte sein Exemplar schon vor
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