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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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nickte und schloss auf.
    Vor ihnen lag die Victoria Street. Raues Kopfsteinpflaster, Häuser aus grobem Stein. Unsagbar viele Schornsteine sowie ein schier unendliches Meer aus Treppen. Also eigentlich alles wie immer.
    Gegenüber lag der Schlüsselladen, hinter dessen staubigen Fenstern man einige Gestalten erkennen konnte.
    Â»Scheint, als hätten wir Glück«, murmelte Tom, huschte über die Straße, öffnete die Tür des Ladens und nickte zufrieden. Dann bedeutete er Lara, ihm zu folgen.

    Unwohl.
    So fühlte sich Lara. Und so würde sie es auch jedem beschreiben, der sie fragen würde, wie man sich fühlt, wenn man in Pyjama und Hausschuhen unter wildfremde Menschen kommt.
    Menschen, die obendrein auch noch beim Tee saßen.
    Es schien keine besonders fröhliche Runde zu sein – wer konnte es ihnen verdenken –, aber schlechte Laune schienen sie zumindest auch nicht mitgebracht zu haben. Ob fröhlich oder nicht, war Lara allerdings auch egal, denn es änderte nichts daran, dass alle Augenpaare auf ihr ruhten und die lebhafte Diskussion verstummt war.
    Â»Hallo«, stammelte Lara unbeholfen.
    Auf Stühlen und Hockern saßen um den Tresen herum Baltasar, eine dicke Frau mittleren Alters und eine junge, sehr schlanke Frau mit einem spitzen Gesicht und wallendem, blondem Haar, das von einer grünen Strähne geziert wurde. Gekleidet war sie in pechschwarzes Leder. Außerdem saßen dort zwei Herren in Trenchcoats. Der eine schien ein wenig älter als Tom zu sein und sah sehr englisch aus mit seinem peniblen Schnurrbart und einem Zwicker. Der zweite war vielleicht zwanzig Jahre älter, ergraut und hatte zotteliges Haar und einen ebenso zotteligen Schnauzbart und sah irgendwie aus wie ein alter Wolf.
    Baltasar stand auf und eilte auf Tom und Lara zu.
    Â»Was um alles in der Welt machst du denn hier? Ich dachte, wir hätten abgemacht, dass du zu Hause bleibst.«
    Doch Tom packte Baltasar noch im Gehen an der Schulter.
    Â»Das ging nicht«, meinte er nur.
    Â»Wieso?«
    Baltasar stutzte. Besorgt fragte er:
    Â»Ist etwas mit Henry?«
    Tom erklärte es ihm. Lang und ausführlich, während der Rest der Gesellschaft beinahe andächtig schwieg.
    Schließlich erhob der Mann mit dem zotteligen Schnauzbart das Wort.
    Â»Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Meine Herren, was schlagen wir vor, was mit der jungen Ms McLane zu tun ist? Ich denke, wir sollten sie dringend unter Schutz stellen.«
    Die anderen nickten.
    Â»Wie sieht es aus, Geneva?«, fragte er die blonde Frau mit der seltsamen Frisur. »Würden die Nachtwächter dafür Sorge tragen?«
    Die junge Frau in den Ledersachen nickte nur.
    Â»Moment mal.«
    Lara hob den Finger wie jemand, der sich in der Schule melden musste.
    Erneut ruhten alle Blicke auf ihr. Gott, war das peinlich.
    Â»Aber dürfte ich vielleicht meinen Großvater sehen und mir etwas anziehen? Und können Sie dann darüber diskutieren, was mit mir geschehen soll?«
    Schweigen.
    Ein Punkt, den offenbar niemand bedacht hatte.
    Â»Ã„hm ja!«, räusperte sich der Schnauzbart. »Natürlich. Ähm, wo sagten Sie gleich, wohnen Sie?«
    Â»Zwei Ecken weiter«, kam Tom ihr zuvor.
    Â»Oh ja, äh, gut.«
    Er sah sich um.
    Â»Geneva, würden Sie die junge Miss eventuell nach Hause begleiten und für ihre Sicherheit sorgen?«
    Die Frau nickte erneut wortlos und erhob sich. Sie blinzelte Lara zu. Dann schulterte sie eine Art langen Köcher – einen, in dem man für gewöhnlich ein Billardqueue aufbewahrte – und schritt elegant zur Tür.
    Lara blickte zu Tom. Der nickte ihr zu, bedeutete ihr, dass alles in Ordnung sei.
    Die Frau in den Ledersachen hielt Lara die Tür auf und verließ nach ihr den Laden.
    Sie musste ebenfalls eine Nachtwächterin sein. Ihre Bewegungen sahen ähnlich fließend aus wie die des Schattenmannes von letzter Nacht. Lara wurde mulmig.
    Â»Ich bin Geneva.«
    Ganz unvermittelt streckte die Frau Lara die Hand entgegen.
    Â»Lara«, meinte diese vorsichtig und schüttelte die dargebotene Hand zaghaft.
    Sie sahen sich einen Moment in die Augen. Von Frau zu Frau. Geneva war vielleicht zehn Jahre älter als Lara. Grüne Smaragdaugen blickten ihr entgegen, in denen ein Gemisch aus ernster Heiterkeit und verwaschener Traurigkeit schwamm.
    Die traurigen Blicke hätten auch die von Tom sein können, dachte Lara.
    Sie

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