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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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waren beide etwa gleich groß, doch Lara kam sich neben der selbstbewussten Frau irgendwie furchtbar klein vor.
    Â»Ich hasse diese Jobs«, meinte Geneva. »Ich mag es nicht, mit den Kommissaren zusammenzuarbeiten. Und die beiden da drinnen mag ich schon gar nicht.«
    Sie seufzte und zuckte mit den Schultern.
    Â»Aber man schickt mich einfach zu oft mit ihnen mit. Wahrscheinlich, weil das Ergebnis stimmt.«
    Lara fiel ein Stein vom Herzen. Geneva schien sogar richtig nett zu sein. Sie hasste den gleichen gesellschaftlichen Umgang wie Lara selbst, damit hatten sie schon etwas gemeinsam.
    Es war ein greller Morgen in Edinburgh. Lara hasste grelle Morgen. Das Licht stieß einem mit einer blassgrauen Wolkenwand ins Gesicht und ließ einen trostlos aussehen.
    Den Rest des Weges schwieg Geneva höflich, denn Lara war sichtlich nicht in der richtigen Laune für ein Pläuschchen.

    Ganz im Gegenteil.
    Lara war hochgradig durcheinander. Und es wurde nicht besser, als sie die Wohnungstür aufschloss und in die Stille hineinging.
    Denn Henry McLane war nicht da.
    Â»Aber da hängt doch sein Mantel …«
    Laras Stimme zitterte. Nein, das durfte nicht wahr sein. Auch der Schlüsselbund hing an dem dafür vorgesehenen Brett neben der Tür. Nein. Nein. Nein.
    Sie hastete in alle Zimmer, hoffte, dass ihr Großvater schlief oder mit Kopfhörern laut Beethoven hörte und deshalb nicht antwortete.
    Nichts.
    Henry McLane war fort.
    Geneva, die im Hausflur geblieben war, hatte den seltsamen Köcher von der Schulter genommen und einen wachsamen Blick aufgesetzt. Sie legte den Arm um Lara, als sie zurückkam und gegen die Wand im Flur sackte.
    Tränen liefen ihr über das Gesicht, verfingen sich in zerwühlten Strähnen aus bernsteinfarbenem Haar. Stille, dunkle Tränen voller Verzweiflung.
    Es durfte einfach nicht sein, doch es war so. Henry McLane war fort. Verschluckt von einer grausamen Geschichte.
    Geneva drückte den Kopf der schluchzenden Lara gegen ihre Schulter. Warmherzig, nett und hilfsbereit. Doch Lara hatte keine Zweifel daran, dass die Frau jederzeit zu einer tödlichen Waffe werden konnte. Ein wenig wie eine große Raubkatze, elegant und gefährlich, aber trotzdem fürsorglich.
    Es war alles so verrückt.
    Â»Ist ja gut«, drang Genevas Stimme zwischen die Schluchzer.
    Und so saßen sie da.
    Zehn Minuten. Eine halbe Stunde. Ein ganze.
    Lara wusste es am Ende nicht mehr.
    Sie wusste nur noch, dass Geneva sie irgendwann zum Duschen ins Bad geschickt hatte. Und sie hatte unter dem laufenden Wasserstrahl gestanden und gewartet, dass das Wasser diese Geschichte, diese elende Geschichte, die ihr anhaftete wie Dreck, vom Körper spülte.
    Vergebens.
    Â»Wir werden ihn finden!«
    Es war ein Versprechen gewesen, das Geneva der verzweifelten Lara ins Ohr geflüstert hatte. Und es war das Einzige, woran Lara sich klammern konnte.
    Als sie schließlich aus dem Bad kam, saß Geneva auf der Holztreppe, die in den zweiten Stock der Wohnung führte und starrte nachdenklich in den Raum.
    Â»Was nun?«, fragte Lara mit nassen Haaren, eingehüllt in den dicken Frotteebademantel, den ihr Henry McLane vor Jahren geschenkt hatte. Dicke Decken und warme Kleidung seien wichtig, hatte er erklärt. Egal in welcher Situation.
    Â»Wir werden ihn finden«, meinte Geneva. Es klang immer noch vollkommen ernst.
    Â»Der Einbruch bei euch ist ohnehin die einzige Spur, die die Kommissare zurzeit haben. Zumindest sieht es so aus.«
    Sie musterte die in den Bademantel gehüllte Lara.
    Â»Geh nach oben, zieh dir etwas an! Du kommst mit uns!«
    Â»Mit euch?«
    Geneva nickte.
    Â»Auf dich haben es die Kerle oder wer auch immer abgesehen. Du bist erst einmal am sichersten, wenn du bei uns bist.«
    Also huschte Lara nach oben, zog Jeans und Pullover an. Als sie wieder auf dem Treppenabsatz erschien, reichte Geneva ihr einen zerknüllten Briefbogen.
    Henry McLanes Handschrift war darauf zu sehen. Furchtbar krakelig, ganz und gar nicht die Art ihres Großvaters. Zudem auch noch mit einem Kugelschreiber oder etwas Ähnlichem geschrieben, aber die Buchstaben waren zweifelsohne von ihm.
    Â»Das lag im Papierkorb im Arbeitszimmer. Ein zerschnittener Kabelbinder war ebenfalls dort. Wahrscheinlich hat dein Großvater es geschafft, die Zeilen zu verfassen, bevor er verschleppt wurde.«
    Wortlos nahm Lara das Papier aus Genevas Fingern und las, was

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