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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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hatte. Das Rondell sah aus wie eine riesige, alte Wagenburg, deren Wagen sich irgendwann entschieden hatten, sich nach und nach in richtige Häuser zu verwandeln. Hier und da ragten noch Dinge wie ein ehemaliger Kutschbock aus den Wänden der Holzhäuser. Über vielen Eingängen – so auch über dem von Berries Hütte, über dem jedoch auch noch diverse runenähnliche Symbole in den Türrahmen geritzt waren – hingen große Wagenräder mit Holzspeichen. Zu jedem der ehemaligen Wagen führte ein kleines Treppchen hinauf. Manche besaßen eine kleine Veranda.
    In der Mitte des Rondells flackerte ein großes Feuer vor sich hin, dessen Lichtschein den Blick auf den Sternenhimmel von Ravinia vereitelte. Junge Frauen mit weiter, bunter Kleidung und Ringen an Armen und Beinen tanzten im Feuerschein zur Musik, gespielt von gleichaltrigen jungen Männern. Gitarren, Mandolinen und Cajons holten die großen Zeiten von Johnny Cash und Bob Dylan und Simon & Garfunkel zurück aus ihren Gräbern und verliehen dem Geschehen einen glänzenden Anstrich von Nostalgie.
    Then Sue came along, loved me strong, that’s what I thought. But me and Sue, that died, too …
    Die Zeilen lagen schwer in der Luft wie der süße Rauch der Wasserpfeifen, der von überallher aufstieg.
    In Hauseingängen saßen Bohemiens und diskutierten über Literatur von Oscar Wilde und Neil Gaiman, von Lew Tolstoi und Thomas Mann, rauchten Zigarillos und tranken Whisky aus klobigen Gläsern.
    Zwei Akrobaten waren in eine Übungsstunde vertieft und vollführten unter gegenseitiger Begutachtung allerlei Kunststücke, balancierten Teller auf Stöcken oder schlugen Räder. Ein Mann mit feuerrotem Haar und einer Art Frettchen auf der Schulter sah ihnen dabei zu.
    Ein Guru meditierte auf einem kleinen Teppich, umringt von einer Gruppe Neugieriger sowie einigen seiner Schüler, denen die innere Ruhe fehlte, um es ihm gleichzutun.
    An einem Klapptisch saßen zwei alte Männer mit dicken, ergrauten Schnauzbärten, tranken Tee aus kleinen Gläsern und spielten Schach mit uralten, teils verkrüppelten hölzernen Figuren.
    Plötzlich ertönte neben Lara eine Mundharmonika und setzte ein Blues-Solo über eine instrumentale Stelle des Johnny Cash-Songs. Es war Lee, der – woher auch immer – eine kleine, silberne Mundharmonika gezaubert hatte und nun der Musik am Feuer eine neue Facette verlieh. Als das Lied endete, applaudierten Tänzer und Musiker in Lees Richtung, was dieser mit einer eleganten Verbeugung quittierte. Wieder war dieses strahlende Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, so, als tränke seine Seele die pure Lebensenergie dieses Ortes und dieses Augenblicks.
    Er drehte sich zu Lara um.
    Â»Weißt du, nur hier stehen zu dürfen, war all den Stress der letzten Wochen mit all den seltsamen Träumen und Gedanken vielleicht schon wert.«
    Und Lara wusste, was er fühlte.
    Zuhause.
    Dieser Ort gab einem das Gefühl, dass die Welt, in der sie groß geworden waren – die Welt der Wolkenkratzerstädte und der Wirtschaftsfonds, in der man nach außen immer nur zu scheinen, aber nie zu sein hatte –, an Bedeutung verlöre.
    Marcion gab ihr schließlich einen Klaps auf die Schulter und riss so ihre Aufmerksamkeit von der Szene, die sich ihr bot, fort. Langsam setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung.
    Â»Wer waren deine Eltern?«, fragte Lara schließlich, als sie in die Gassen und Hinterhöfe der düstergoldenen Stadt abtauchten. Eusebius Lanchester und Baltasar hatten ihr erklärt, dass die talentierten Kinder von Ravinia auch talentierte Eltern hatten. Aber sie wusste natürlich nicht, ob das ausschließlich der Fall war oder ob es auch Kinder gab, die zufällig ein Talent hatten.
    Â»Ich habe sie nie kennengelernt«, gestand Lee ganz offenherzig.
    Da war sie plötzlich. Eine Gemeinsamkeit, die Lee und Lara sich teilten. Sie hatten keine Vergangenheit, zumindest keine richtige. Es war irgendwie erleichternd, denn bisher war Lee ihr ein wenig zu selbstsicher vorgekommen.
    Â»Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen, seit ich mich erinnern kann«, erklärte er weiter. »Es war nicht die schlechteste Zeit, aber es war nicht unbedingt meine Zeit.«
    Â»Ich bin bei meinem Großvater aufgewachsen«, sagte Lara. »Es war ganz sicher viel besser als ein Waisenhaus,

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