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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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gut ist gut gemeint.
    Und dabei waren Lee und Lara sich so sicher gewesen, es mit einem guten Willen zu tun zu haben. Francesco sah unsicher aus, aber nicht überrascht.
    Â»Es tut mir leid«, stammelte Marcion. »Ich kann nicht anders, ich –«
    Weiter kam er nicht, da Francesco ihm heftig in den Magen schlug.
    Â»Halt«, schnitt die Wüstenwindstimme des hakennasigen Mannes grausam und herrisch über den Hof. Hinter ihm glitt mit einem Zischen ein krummer Dolch aus seiner Scheide, gehalten in der bandagierten Hand des anderen düsteren Mannes. In seinem unverletzten Arm hing schlaff Henry McLane. Laras Großvater schien für seinen Peiniger nicht mehr zu sein als eine wehrlose Puppe.
    Und Lara schrie erneut. Schrie ihre Verzweiflung hinaus in die düstergoldene Nacht, wo der Mond sie nicht zu schlucken vermochte.
    Ein Klacken wisperte über den Hof, und zwei Männer mit Armbrüsten traten aus den Schatten, direkt neben den Hakennasigen. Der eine trug einen Seemannspullover und eine Wollmütze sowie einen kurzen, weißen Vollbart. Der andere hatte ein von blondem Haar gesäumtes Mondgesicht. Beide schienen hoch konzentriert. Francesco ließ von dem heulenden Marcion ab und blickte wehmütig zu der gequälten Lara, um deren Schulter Lees Arm lag, während die Augen des amerikanischen Jungen die fremden Männer anfunkelten, als könne er sie allein mit Blicken aufspießen.
    Â»Halt den Mund«, donnerte der hakennasige Mann über den Hof, als Laras Schrei in der Nacht verhallt war. Das Süffisante war aus seiner Stimme verschwunden, und die schiere Kälte seiner Seele lag nun darin.
    Lee half der fassungslosen Lara auf.
    Â»Lassen Sie ihn los!«, zischte Lara, presste es zwischen den Zähnen hervor.
    Â»Wieso sollten wir?«, gab ihr Gegenüber zurück.
    Ein ersticktes Stöhnen entfuhr dem schlaffen Henry McLane.
    Lara wusste, was auch immer nun von ihr verlangt würde, sie würde es tun. Ohne Vorbehalt, ohne Heldentat, ohne Wenn und Aber. Es gab Dinge, die wogen mehr als ganze Städte. Mehr als ganze Königreiche.
    Â»Bitte!«, presste sie hervor.
    Das Lächeln kehrte auf das Gesicht des Mannes mit der Wüstenwindstimme zurück.
    Â»In ein paar Minuten«, meinte er zufrieden. »Wenn alles vorüber ist, ja, dann können wir darüber reden, euch laufen zu lassen.«
    Und eine übergroße Portion Selbstzufriedenheit schwang mit, als er hinzufügte: »Ruben magst du ja entkommen sein, aber mir niemals.«
    Es klang grausam. So unendlich grausam, wie die Welt nur sein konnte.
    Und Lara ließ die Schultern hängen und wusste, dass sie verloren hatte.

    Die Männer dirigierten sie zu einer Tür, die neben dem großen Tor der Fabrikhalle eingelassen war. Lee ging erhobenen Hauptes und mit gestrafften Schultern dicht hinter Lara, bedroht von den scharfen Bolzenspitzen der Armbrüste.
    Francesco trat aus voller Drehung gegen den am Boden wimmernden Marcion und folgte ihnen schließlich auch. Die beiden Armbrustschützen trieben ihn zu Lara und Lee, während der hakennasige Mann voranging und der Düsterling mit dem halb ohnmächtigen Henry McLane als Geisel den Abschluss bildete.
    Dann war es so weit.
    Sie erreichten die Tür, die – im Gegensatz zum angrenzenden Tor – noch intakt zu sein schien und einst vielleicht einen Boteneingang oder etwas Derartiges dargestellt haben mochte.
    Der Hakennasenmann holte einen düstergoldenen Schlüssel an einer Kette hervor. Ja, düstergolden war absolut passend. Ohne dass irgendjemand auch nur ein Wort über die Lippen brachte, spürte Lara, dass sie eines der wenigen absoluten Meisterwerke der Schlüsselmacherkunst vor sich hatte. Beinahe meinte sie, ein Pulsieren wahrzunehmen, das von dem Schlüssel mit dem kunstvollen Bart und dem verzierten Kopf auszugehen schien.
    Doch ein Stöhnen ihres angeschlagenen Großvaters ließ sie alle Ehrfurcht vor dieser großartigen handwerklichen Arbeit vergessen und zurückkehren in ihren Körper und ihren Geist, die von Angst und Schmerz erfüllt waren.
    Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht.
    Und dann ging die Tür auf.

    Die Welt war ein Verräter.
    So viel war sicher.
    Hinter der Tür lag ein weitläufiger Raum, aus dem ein stetes, durchdringendes Ticken wie von einer großen Uhr zu hören war. Er wirkte wie ein Sanktuarium. Etwas zog an Lara. Ein

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