Ravinia
aber â¦Â«
Lee sah sie unmittelbar an.
»Nein«, entschuldigte Lara sich. »Das wollte ich nicht â¦Â«
»Ist schon gut«, hastete Lee dazwischen, bevor sie den Satz beendet hatte. »Ich weiÃ, was du meinst. Wir kennen beide unsere Wurzeln nicht so richtig, wir sind wie Menschen ohne Schatten.«
Das traf es gut.
Weiterer Worte bedurfte es nicht. Und auf einmal überlegte Lara, dass vielleicht doch einmal Freundschaft zwischen ihnen entstehen mochte. Die Ãberlegung war interessant. Ganz gleich ob sie nun der Zufall oder das Schicksal zusammengeführt hatte. Dabei hörte sie in Gedanken erneut Berries Satz über den Zufall, der sich durchaus auch Schicksal nennt und sich als solches verkleidet. Freundschaft mit dem seltsamen Lee Crooks, dessen braune Augen Abgründe und Sprungbretter zugleich waren. Aber waren sie nicht alle seltsam in Ravinia? Verband dies nicht die Leute hier, wie Marcion gesagt hatte?
Dieser war indes in ein Gewirr aus kleinen Gassen, engen Hinterhöfen und ungepflasterten SträÃchen abgebogen.
»Warum nehmen wir nicht den direkten Weg zum Markt?«, wollte Francesco wissen.
»So richtig weià ich es auch nicht«, meinte Marcion. »Aber wieso hätte ich die Kinder sonst zum Uhrenturm bringen sollen, wenn sie einfach die HauptstraÃen hätten entlanggehen können?«
»Du bist seltsam«, sagte Francesco.
»Sind wir das nicht alle?«
Dann schwiegen sie. Stapften weiter durch die dunklen Ecken der Stadt und kletterten über Zäune oder unter Wäscheleinen hindurch.
»Die Kreidefrau hat recht«, unterbrach Marcion nach einer Weile das Schweigen.
»Womit?«, fragten Lara und Francesco gleichzeitig.
»Damit, dass das Rondell das Herz von Ravinia ist.«
»Aha«, machte Francesco.
Lara dachte weiter.
»Weil dort alles frei ist?«
Marcion nickte und Lara philosophierte weiter.
»Aber glaubst du nicht, dass die Menschen, wenn wirklich alles frei wäre, nur noch in Ravinia leben wollten? Weil es ihnen unendlich viel Raum geben würde?«
»Ich glaube nicht«, meinte er. »Ravinia ist genauso grausam wie die Welt dort drauÃen. Der Geist der Leute ist bloà freier.«
»Aber das ist auch gefährlicher.«
Marcion lächelte im Gehen.
»Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein«, sagte er bloÃ.
»Sartre«, sagte Lee. Alle drehten sich zu ihm um, während er selbst nur mit den Schultern zuckte. »Sorry«, meinte er. »Das hat Sartre mal gesagt.«
»Stimmt«, stellte Marcion schlieÃlich fest. »Aber so ist es doch auch.«
Er kletterte vor Lara eine eingefallene Backsteinmauer hinauf, blieb oben stehen und deutete mit dem Finger zwischen zwei Häuserlücken hindurch. Lara konnte die Anhöhe erkennen, auf der Tom zufolge das Villenviertel stehen musste.
»Dort oben wohnen diejenigen, die in Ravinia wirklich das Sagen haben.«
»Der Adel?«
Wieder nur ein Nicken.
»Der Adel«, erklärte Marcion, »lässt Ravinia elitär und arrogant erscheinen, obwohl es das gar nicht ist. Sie machen ihre eigenen Gesetze und kontrollieren den Stadtrat, zumindest teilweise.«
»Das sind Gerüchte«, kommentierte Francesco tonlos von unterhalb der Mauer.
Marcion sprang hinab und lief auf einen weiten Hof hinaus. Jetzt, bei näherer Betrachtung, fiel Lara auf, dass es der Hof einer einstigen Fabrikhalle war. Wie seltsam. Hatte sie doch bisher gedacht, dass Dinge wie die Industrie niemals Fuà fassen könnten an einem Ort wie diesem. Aber wahrscheinlich hatten sie das auch nie. Die Fabrik war verfallen, die Scheiben eingeworfen, eine Katze huschte panisch hinter eine Ecke und warf dabei ein Wellblech um.
Marcion hingegen wartete in der Mitte des Hofes und deutete mit dem Finger auf Francesco.
»Nein, mein Lieber, das sind keine Gerüchte. Wer, glaubst du denn, ist schuld daran, dass man versucht, die Stadt rein zu halten? Dass man Lutins, Nimmerchen und solche wie euch hier nicht duldet?«
»Na ja«, machte Francesco. »Also solche wie uns duldet man hier schon. Dass wir in Epicordia leben, ist unsere Entscheidung. Die Nimmerchenplage würde sowieso niemand in den Griff bekommen. Von denen gibt es Tausende oder noch viel mehr. Und die Lutins â na ja â¦Â«
»Siehst du?« Marcion wollte den Gedanken festhalten. »Man sollte etwas gegen den Stadtadel
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