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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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hatte. »Die Dinge, die Roland Winter der Stadt und den Leuten hier angetan hatte, haben uns zusammengeschweißt, und so haben wir uns unter dem Schutz der Stadtwache in Köln zusammengefunden und über einen Plan nachgedacht. Schnell war klar, dass wir jeder für sich zum Gelingen beitragen konnten, uns fehlte jedoch eine Möglichkeit, eine Art Schnittstelle, mit der wir Roland Winter bewegen konnten, sich freiwillig in Gefahr zu begeben. Das hat deine Großmutter bewirkt. Sie schrieb das Gedicht und hat Winter in seinen Kerker aus Farben gelesen.«
    Lara schluckte, und Keiko Ito berichtete weiter.
    Â»Das Gemälde hatte Nicolaes angefertigt. Es entsprach keiner fotorealistischen Abbildung von Roland Winter, aber es machte, was Nicolaes’ Bilder und Zeichnungen am besten können: Es fing den dunklen Geist der Sache ein. Baltasar Quibbes hatte zuvor einen eigenartigen Schlüssel gefertigt. Er hatte quasi mit dem Feuer gespielt, denn nicht einmal er selbst wusste genau, wohin der Schlüssel führte. Mit ihm begaben sich die Nachtwächter auf eine Art Staffellauf um die ganze Welt, verfolgt von den Sturmbringern, während deine Großmutter Winter in Nicolaes’ Gemälde einfing. Während die Nachtwächter uns die Zeit verschafften, die wir brauchten, erfand ich das Öl, das dem magischen Bild zuzusetzen vermochte. Milton St. James, ein begnadeter Wahrsager, entwickelte die Fallen, die jeden hindern sollten, sich dem Gemälde auch nur zu nähern. Welch bittere Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sein eigener Schüler seine Fallen am Ende ausgehebelt hat.
    Das absolute Meisterstück der Sammlung war allerdings die Uhr, welche die Zeit beschleunigte. Der damals schon greise Uhrmacher Howard Evans hat über ein Jahr gebraucht, um sie zu entwerfen und zu bauen. Letztlich hat er es mit seinem Leben bezahlt, denn bis die Nachtwächter und die Kommissare die schlimmsten unter den Sturmbringern dingfest gemacht hatten, hatte einer von ihnen noch die fatale Gelegenheit zur Rache an Howard. Der Schlüssel jedoch wanderte in die tiefsten Tiefen der Stadtwache, wo er verborgen und gut bewacht sicher war – bis vor ein paar Tagen.«
    Keiko Ito stand auf. Ihre Stimme hatte an Festigkeit eingebüßt und eine brüchige Nuance bekommen, die ihrem hohen Alter gerechter zu werden schien als die Gefasstheit, mit der sie ihnen zu Anfang begegnet war.
    Â»Ich versuche euch zu helfen, aber viel ist es nicht, was ich weiß«, hauchte sie, ermattet von aufwallenden Emotionen.
    Â»Der Seemann, der gestern Nacht unter Ma’Haraz’ Kommando bei dieser Befreiungsaktion dabei gewesen ist, er heißt Walter Gonzales und ist der Sohn einer spanischen Familie, die es nach Großbritannien verschlagen hat. Bitte fragt mich jetzt nicht, woher ich das weiß. Früher wohnte er an der schottischen Westküste, ich gebe euch die Adresse, aber wenn er klug ist, wird er dort schon nicht mehr sein.
    Etwas anderes noch: Vor einigen Wochen ist aus unseren Beständen eine sehr seltene Substanz entwendet worden. Wir haben sie damals Synästhesin getauft, weil sie sich mit Melodien zu festen, schillernden Steinen verbindet. Wir haben es leider nicht geschafft, uns noch näher damit zu beschäftigen. Wir wissen nicht einmal, ob sie gestohlen wurde oder ob sie nur jemand verlegt hat.«
    Keiko Ito ging zu ihrem Schreibtisch und zog eine Schublade auf, um eine Packung Papiertaschentücher hervorzuholen.
    Â»Mehr kann ich nicht zu eurer Suche beitragen, ich hoffe, es hilft euch. Lizzy wird euch aus den botanischen Gärten hinausführen.«
    Dann schniefte sie einmal heftig in das Taschentuch, und Lara zerbrach es das Herz, diese würdige alte Frau weinen zu sehen.
    Keiko Ito schrieb in einer stolzen und gestochenen Handschrift zwei Adresszeilen auf einen Fetzen Papier und schob ihn in Toms Hand, als sie diese zum Abschied drückte.
    Sie verbeugten sich alle drei knapp und waren dann verschwunden aus dem Schmerz einer durch ihr Gewissen bis in alle Ewigkeit geplagten alten Frau.

    Es war weit und breit nicht das geringste Anzeichen dafür zu sehen, dass es hier am knorrigen, aus dem Felsen wachsenden Torhaus lebendige Wasserspeier geben könnte. Lara hatte sich fest vorgenommen, diesmal auf die an Mauern und Türmen hängenden Hässlichkeiten zu achten, bevor sie wieder von einer überrascht würden. Fehlanzeige. Ebenso, wie Alistor

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