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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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aufgefallen.
    Wie auch immer, auf jeden Fall müsse man ordentlich verrückt sein, um in einer der hängenden Siedlungen zu hausen. Was auf deren Bewohner auch im Grunde zutraf.
    Lara überlegte leise, ob es nicht eigentlich auf jegliche Bewohner von Ravinia zutraf, dass sie auf mehr oder weniger subtile Weise ein wenig verrückt waren. Aber sie hielt den Mund, um nicht noch eine Belehrung Lizas mit dem Untertitel Ich-gehöre-viel-mehr-zu-dieser-Stadt-denn-ich-weiß-viel-mehr-als-du über sich ergehen lassen zu müssen.
    Blieb also noch die Frage nach dem wahnwitzigen Architekten der achteckigen Bibliothek von Ravinia. Tom sagte nichts. Wie typisch.
    Im für Laras Geschmack zu spitz geschwungenen Torbogen, der zwei Türen überspannte, die zum Platz vor der Jacobs-Synagoge führten, stand ein beeindruckender Nachtwächter. Er war ganz untypisch in eine wallende, rote Robe gekleidet und hielt eine Hellebarde in der Hand, die vielleicht nur deshalb nicht so plump wie ihre Artgenossen wirkte, weil sie sich in der Hand eines Nachtwächters befand. Auf dem Kopf trug er einen pechschwarzen, venezianischen Dreispitz.
    Er winkte sie einfach hindurch, und sie betraten eine runde Halle, die über mindestens zwei Stockwerke reichte. Über ihnen schwebte ein protziger Kronleuchter auf der Höhe einer Galerie mit vielen Türen. In ihrer Mitte war ein riesiges Wappen angebracht, das in Schwarz auf rotem Grund einen riesigen Rabenflügel zeigte sowie den Schriftzug Ex Bibliotheca Corvos .
    Tom schenkte alldem keinerlei Beachtung, sondern schritt geradewegs durch die Halle und öffnete ohne anzuklopfen die zweiflügelige Tür direkt gegenüber. Liza und Lara sahen zu, dass sie hinterherkamen.
    Sie betraten einen hohen Raum, dessen Decke noch höher zu hängen schien als in der Empfangshalle. Der Raum war offensichtlich kein Lesesaal, dafür war er nicht weitläufig genug, im Gegenteil, er beschränkte sich auf die Ausmaße eines größeren Büros, und Lara sollte schnell herausfinden, dass es sich auch genau darum handelte.
    Turmhohe Regale aus dunklem Holz verdeckten die Wände, sie waren voller dicker Folianten und alter Schriftrollen. In der Mitte des Raumes vor einem großen Fenster, das den Blick auf einen Innenhof freigab, stand ein breiter Schreibtisch, auf dem sich neben einigen Utensilien zum Schreiben und zur Katalogisierung ein großer Kolkrabe an einer Schale mit Keksen gütlich tat. Als er Tom erblickte, machte er ein eindeutig schluckendes Geräusch, krahte ein »Ich bin wieder weg« in den Raum hinein und erhob sich in die Lüfte, um durch eine geöffnete Luke in der Glasfront des pompösen Jugendstilfensters zu entschwinden.
    Tom stöhnte. Warum er die Raben nicht mochte, aber dennoch auf der Burg von Ravinia wohnte, war für Lara immer noch unverständlich. Doch er würde wohl seine Gründe haben.
    Â»Christopher Davenport?«, rief Tom unvermittelt in den Raum hinein.
    Â»Hier oben«, erklang die Antwort aus den luftigen Höhen des Raumes.
    Alle Neuankömmlinge reckten die Hälse in Richtung der Stimme, um wenig später einen wendigen Mann zu erblicken, der ohne Bedenken etwa zehn Meter über ihnen durch eine Reihe von Regalleitern und Balkonen kletterte.
    Â»Ich bin gleich bei euch. Kurzen Moment noch.«
    Daraufhin stieg er in einer beachtlichen Geschwindigkeit und von unglaublicher Trittsicherheit geführt bis zu ihnen hinunter und baute sich vor ihnen auf.
    Â»Tom«, strahlte er. »Wie schön, dich hier zu sehen. Hast du nicht genug eigene Bücher?«
    Â»Hallo Christopher«, sagte Tom und stellte seine Begleiterinnen vor.
    Â»Das ist Christopher Davenport. Er ist im Moment der geschäftsführende Bibliothekar von Ravinia.«
    Â»Was heißt im Moment? Ich hoffe, ich bleibe es noch eine Weile«, beschwerte sich der Vorgestellte scherzhaft.
    Es handelte sich – zu Laras Erstaunen – nicht um einen alten Mann. Überhaupt nicht. Er musste etwa in Toms Alter sein, also die dreißig vielleicht gerade überschritten haben, und hätte Lara einen Vergleich anstreben wollen, so wäre ihr vermutlich zuerst Johnny Depp eingefallen. Christopher Davenport war von durchschnittlicher Größe und Statur, trug sein braunes Haar halblang und hatte eine kleine, runde Brille mit einem dicken Rand. Sein Gesicht wurde von einem leicht neckischen Grinsen und einem

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