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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Saum auf ihre Gäste zueilte, so schnell es ihre alten Füße zuließen. Sie ergriff mit beiden Händen Toms Rechte und schüttelte sie eifrig, ehe ihr Blick auf Lara fiel.
    Â»Lara McLane, nehme ich an?«, strahlte die alte Frau aus ihren kleinen japanischen Knopfaugen. »Ein hoffnungsvoller Spross unserer schwachen Generation von Lehrlingen.«
    Â»Schwache Generation?«, wunderte sich Lara.
    Â»Aber ja. Meine Generation von Meistern hatte das Pech, entweder zu schwache Charaktere auszubilden oder zu starke – so wie ihre Eltern. Vielleicht ist das unser Los, wer weiß? Vielleicht ist es ein Fluch? Einerlei. Ich bin Keiko Ito und freue mich aufrichtig, Ihre Bekanntschaft zu machen, junge Mechanikerin.«
    Lara deutete unter Keiko Itos heftigem Händeschütteln ebenfalls eine Verbeugung an. »Ich fühle mich ebenfalls geehrt.«
    Aus den Augenwinkeln nahm sie voller Genugtuung wahr, dass Liza über die von Meisterin Ito entbotene Freundlichkeit deutlich verstört war.
    Â»Du kommst sicher nicht wegen angenehmer Dinge, Tom?«, erkundigte die alte Frau sich.
    Tom schüttelte den Kopf.
    Â»Ich komme doch ohnehin nie her. Warum sollte ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Anstandsbesuch sein?«
    Keiko Ito hob tadelnd den Zeigefinger.
    Â»Für Freundlichkeit oder Anstand ist es niemals zu spät.«
    Tom stöhnte.
    Â»Für Belehrungen offenbar auch nicht, oder?«
    Ein breites Grinsen, so eines, wie es nur alte Lehrmeister beherrschen, huschte über Keiko Itos Gesicht.
    Â»Na, immerhin hast du ein paar Dinge mehr begriffen seit unserem letzten Treffen. Aber du bist ja auch noch jung. Möchtet ihr einen Tee?«
    Tom nickte.
    Â»Bei einer Tasse Tee redet es sich immer besser.«
    Â»Wie schade, dass ich nur Schalen habe«, scherzte Keiko Ito und führte Tom, Liza und Lara hinter eine Trennwand aus japanischem Papier, die einen niedrigen Tisch auf einem dicken Teppich sowie einige Schalen, einen Wasserkocher und eine bauchige Kanne vor dem Rest des Arbeitsraumes abschirmte.
    Â»Für einen richtigen Sado¯ fehlt uns leider die Zeit«, stellte Tom fest, nur um sich daraufhin einen weiteren Rüffel der alten Alchemistin einzufangen. »Du bist immer schon ein wenig seltsam gewesen, Tom. Einen richtigen Sado¯ würde ich ganz sicher auch nicht hier in meinem Labor und Arbeitszimmer abhalten. Außerdem ist Ravinia eindeutig zu abendländisch, als dass es hier überhaupt irgendeinen Zweck hätte.«
    So knieten sie sich zu viert um den niedrigen Tisch, und Keiko Ito goss das heiße Wasser zu einigen abstrus großen, sich unter dem erhitzten Aufguss windenden Teeblättern in die gläserne Kanne mit dem großen Bauch.
    Ein weiteres Mal wurde dieser Tag mit der Erzählung einer dreckigen, mysteriösen und nach Trauer stinkenden Geschichte über die Wiederkehr Roland Winters in eine Welt, die ihn fürchtete, befleckt. Lara sah sich nicht in der Lage, zu berichten, was im Sturm der vergangenen Tage alles geschehen war, also erzählte Tom. Es war eine geballte Schilderung, deren einzelne Sätze an Knappheit und Einsilbigkeit kaum zu überbieten waren. Es war ein Tatsachenbericht, ganz nach der Art des ansonsten nicht unbedingt gesprächigen Schlüsselmachers, während dem Lara auffiel, dass sie ihn noch nie so lange hatte zusammenhängend reden hören. Sie befand, dass es ihm nicht unbedingt schlecht zu Gesicht stand.
    Keiko Ito schlürfte ihren Tee, solange er heiß war, und bot die nötige Geduld und das ruhige Wesen auf, keinerlei Zwischenfragen zu stellen.
    Liza Reeds, dem Efeumädchen, war es dahingegen bereits anzusehen, dass ihr Unwissen in dieser Angelegenheit sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Und auf einmal verschwand die Häme ihr gegenüber aus Laras flatternden Gedanken, denn sie musste an ihr eigenes, teils überschäumendes Temperament denken und daran, wie sehr sie diese seltsame Welt, die sich für sie erst vor einigen Monaten hinter einer Tür und mithilfe eines sonderbaren Schlüssels aufgetan hatte, selbst ins Herz geschlossen hatte. Liza Reeds hatte in dieser Hinsicht einige Züge von Lee an sich, der all das Fremde ebenfalls berauscht mit jeder Pore seines Körpers einsog und darin aufzugehen schien wie die eigenartigen Teeblätter im Wasser von Keiko Itos Kanne.
    Diese fremde Welt befand sich nun in einem merkwürdig schwebenden

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