Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
dennoch
bestrafen muss«, holt mich Pa:ris in die Wirklichkeit zurück.
»Ja.« Ich nicke. »Auch das.«
»Dann ist es ja gut«, sagt er und bläst Luft durch
die Nasenflügel aus. »Ich konnte meinen Vater überreden, dass ich diese kleine Familienangelegenheit regele.«
Er dreht sich um und hebt eine goldene Glocke von seinem Schreibtisch. Damit
bimmelt er. Sofort fliegt die schwere Flügeltür auf und zwei Gill-Offiziere treten
ein.
»Schafft sie in den Gerichtssaal! Und gebt ihr ein
Glas Wasser zu trinken. Sie ist ganz erhitzt von der Befragung.« Pa:ris lächelt
und ich fühle, wie mir erneut die Hitze in die Wangen schießt. Am liebsten würde
ich ihn anbrüllen. Stattdessen beiße ich mir auf die Unterlippe.
Ich strecke den Rücken durch und hebe das Kinn. Jeder
Schritt fühlt sich an, als balanciere ich über glühende, messerscharfe
Glassplitter. Meine Füße brennen unerträglich. Keine Tränen, keine Tränen … murmele ich lautlos mit jedem Schritt.
Das Urteil
G ierig trinke
ich das Wasserglas leer. »Kann ich noch etwas bekommen?« Der Offizier schüttelt
verlegen den Kopf.
Die Tür hinter dem Gerichtstisch öffnet sich und
Pa:ris tritt in der goldenen Robe des Statthalters ein. Ihm folgen der Richter
und der Schöffe. Sie tragen die schwarzen Roben des Gerichts.
Ich erhebe mich.
Der Richter stellt sich rechts neben Pa:ris, der
Schöffe platziert sich an der linken Seite. Entlang der Längswand des
Gerichtssaals stehen sieben Sicherheitsoffiziere in Reih und Glied. Sie
schlagen zum Gruß die Hacken zusammen und legen die flache Hand auf ihre Brust.
Auch ich grüße mit der Hand über dem Herzen und suche dabei Pa:ris’ Blick. Aber
er schaut streng geradeaus, als würde er mich nicht kennen.
Der Richter eröffnet die Gerichtsverhandlung,
indem er die Hand hebt. Dann verliest er die Anklage: »Soraya Mistral, Sie sind
angeklagt, vorsätzlich riskiert zu haben, dass Feinde in die Stadt einfallen können.
Mitangeklagte ist Alina Hanna. Die Beschuldigte möge den Gerichtssaal betreten!«
Die Wache an der Gerichtstür ruft in den Flur. »Alina
Hanna, bitte treten Sie ein!«
Zwei Gills geleiten sie.
»Kommen Sie näher!«, befiehlt der Richter. »Sind Sie
Alina Hanna?«
»Ja, die bin ich«, antwortet sie. Ihre Stimme
zittert. Nervös knetet sie die Hände. Sie trägt ein schlichtes graues Kleid.
Das Haar hat sie zu einem strengen Knoten zurückgebunden.
»Alina«, flüstere ich. »Nicht du!« Ich hebe die
Stimme. »Einspruch!«
»Gewährt«, sagt der Richter.
»Alina ist unschuldig. Allein ich habe sie zu der
Tat bedrängt. Sie hat nichts getan, außer mir zu folgen. Im Gegenteil, sie
wollte mich die gesamte Zeit zum Umkehren bewegen. Als ihr das nicht gelang,
ist sie in die Stadt zurückgelaufen, um Hilfe zu holen.«
Fragend blickt der Richter Pa:ris an. »Dann
könnten wir diese Anklage fallen lassen.« Doch der schüttelt den Kopf und erhebt
sich.
»Alina Hanna, warum sind Sie mit der Angeklagten
Soraya Mistral mitgegangen? Wurden Sie bei Leib und Leben bedroht? Oder sind
Sie ihr freiwillig bis vor die Stadttore gefolgt?«
Alina senkt den Kopf. »Ich habe sie freiwillig begleitet,
weil ich hoffte …«
»Das genügt«, unterbricht Pa:ris sie. »Damit ist
erwiesen, dass Alina Hanna eine Mitschuld trägt. Ich vertrete hier nicht das
Gericht, sondern im Auftrag des Statthalters die Rechte des Volkes, unabhängig
vom Freispruch des Richters. Alina Hanna hat vorsätzlich die Sicherheit des
Volkes in Gefahr gebracht. Sie hat zugelassen, dass die Tür manipuliert wurde.
Jeder Feind hätte ungehindert eintreten können. Ich schlage daher vor, sie
nicht ohne Auflagen und Züchtigung aus der Verhandlung zu entlassen.«
Ein fröstelnder Schauer zieht mir über den Rücken.
Das ist es also, was mir der Statthalter und sein Sohn vorwerfen. Wo ist Cesare
Liberius eigentlich? Irritiert blicke ich mich um. Im Eingang steht er. Wie
lange wohl schon? Sein Gesichtsausdruck ist undurchdringlich.
»Was schlagen Sie vor?« Der Richter klappt das Strafbuch
zu und signalisiert damit den Freispruch.
»Alina Hanna erhält morgen hier im Gerichtssaal
eigenhändig von ihrem Vater drei Schläge auf den Rücken. Außerdem wird sie
Kerim Nautilus ehelichen. Er ist von einem Kampf schwerverletzt zurückgekehrt
und benötigt dringend die pflegende Hand einer sorgenden Ehefrau. Mit diesem
Dienst an der Gemeinschaft ist die Sünde der Angeklagten vergeben und sie hat
hoffentlich keine Zeit mehr für weitere
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