Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
will, brennt in meinen Gedanken. Meine Wangen glühen. Ich bin nicht ihre Tochter. Mein Wesen ist durch
und durch rebellisch, weil ich das Kind einer Demoganierin bin, einer von der
Gill-Garde gejagten und schwer verletzten Aufrührerin.
Ein Demoganier zu sein, ist so ziemlich das
Schlimmste was ich mir vorstellen kann. Als Kind haben wir uns zugebrüllt: »Wer
hat Angst vor den Demoganiern? Und wenn sie kommen? Dann laufen wir. Uhaaa.«
Schreiend sind wir dann durch die Kellergänge gerannt. Lärm vertreibt sie.
Ich entsinne mich an Zeiten, da habe ich vor dem
Einschlafen unter mein Bett geschaut, ob sich da einer dieser gefürchteten
Rebellen versteckt hat. Denn sie leben in geheimen Schlupfwinkeln mitten in
unserer Stadt. Sie sind wie Krankheiten – setzen sich fest und vergiften unsere
Gedanken. Das ist alles, was ich in der Schule über sie gelernt habe, und das
genügt mir.
Seit gestern kenne ich die Wahrheit über mich: Mein
Vater hatte in jener Nacht meiner Geburt die Rebellin im Gang hinter unserem
Keller stöhnen gehört, hochschwanger und in den Wehen liegend. Bei meiner Mutter
hatten ebenfalls vor etlichen Stunden die Wehen eingesetzt. Mein Vater wollte gerade
zum Schwarzmarkt und dort Medikamente eintauschen.
Die Frau war nicht mehr in der Lage gewesen, ihr
Kind zu gebären. Er erfüllte ihr ihren letzten Wunsch und schnitt mich aus
ihrem Leib. Sie starb. Dann nahm er mich, das unschuldige Baby, aus Mitleid
mit. Ursprünglich wollte er behaupten, meine Mutter habe Zwillinge geboren.
Aber ihr Junge war blau und leblos. So legte er ihn der Rebellin in die Arme
und sie nahmen mich an Kindesstatt auf.
Ich bin die Tochter einer erklärten Todfeindin der
Regierenden. Mir ist klar, wenn ich mir noch einen Fehltritt leiste, dann wird
mein Vater nicht scheuen, mich zu verstoßen. Gestern, als ich erfuhr, wer ich
wirklich bin, erkannte ich, dass mein Leben bisher eine einzige Lüge gewesen
ist.
Ich erinnere mich, dass ich die ersten fünf Jahre
unter meinem überstrengen Vater, dem ich nichts recht machen konnte, sehr gelitten
habe. Jetzt weiß ich warum. Mein Leben nahm erst eine Wende an jenem Tag, als
mein Vater mich in die Bibliothek mitnahm. Dort begegnete ich Pa:ris. Er war
blass und sprach mit niemandem. Ich solle nett und höflich zu ihm sein, sagte
mein Vater und schob mich in die Richtung des Jungen.
Ich nahm an seinem Tisch Platz und reichte ihm die
Hand, die er wortlos drückte. Dann starrte er auf das Buch, das vor ihm auf dem
Tisch lag. Erst dachte ich, er liest darin. Doch bald erkannte ich, dass es auf
dem Kopf herum lag. Ich setzte mich neben ihn, drehte das Buch richtig herum
und begann zu lesen.
Pa:ris war zwei Jahre älter als ich, aber er
konnte weder ein Wort lesen noch schreiben. Sämtliche Privatlehrer waren an ihm
gescheitert. Ich hingegen hatte ausgiebig die strenge Schule meines Vaters, des
Bibliothekars, gekostet. Ich konnte bereits fließend schreiben. An jenem
Nachmittag las ich dem stummen Jungen geduldig vor. Pa:ris lauschte andächtig
und schließlich begann er zu lächeln. Das gefiel Cesare, und von da an stand
meine Familie hoch in seiner Gunst. Cesare steckte mich sofort in die zweite
Klasse der Privatschule, auf die sein Sohn ging. Seither hatte sich das Blatt für
mich gewendet und ich erlebte eine glückliche Kindheit – und viele Stunden in
Pa:ris’ Elternhaus. Mein Vater wurde leitender Bibliothekar. Ich war der Schlüssel zum beruflichen
Aufstieg meines Vaters. All die Jahre lag die Wahrheit direkt vor meinen Augen,
und ich habe sie nicht gesehen. Mir ist klar, dass ich nicht zu meinen Eltern
zurückkehren kann, wenn ich mich Pa:ris verweigere. Meine einzige Sicherheit ist
sein gestrenger Vater Cesare Liberius, der selbstverständlich eine Ehe
verlangen wird.
Ich schlucke und bete, dass ich durchalte und ihre
Ansprüche erfüllen werde. Ich muss dazu nichts weiter tun, als die perfekte,
folgsame Ehefrau zu sein. Die Regeln des Benehmens habe ich in Cesares Haushalt
längst gelernt. Ich schaffe das, rede
ich mir ein. Wo soll ich sonst hin? Es gibt keinen Weg aus dieser Stadt hinaus.
Es gibt nur viele Wege in die unteren Katakomben, dort wo die Mutare hausen und
sich die Rebellen verbergen. Dort, wo ich keinen Tag überleben würde, da ich
keine Ahnung habe, wie man kämpft und wo man sich verstecken könnte. Nein, dort
will ich nicht hin. Ich muss das kleinere Übel wählen, denn alles andere wäre blanker
Wahnsinn.
»Du wirst einsehen, dass ich dich
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