Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
hinter uns gelassen.
Auch am Krankenhaus sind wir schon vorbeigegangen. In
mir nagt noch immer das schlechte Gewissen. Ach, hätte ich Alina bloß nicht überredet,
unerlaubt die Stadtmauern zu verlassen.
Die Offizierin winkt mich zur Seite. Sie lehnt sich
gegen eine zugemauerte Haustür und bedeutet mir mit der Hand, ich solle mich
daneben auf den Mauersims setzen.
Schräg über uns wacht auf dem Flachdach eines
dreistöckigen Hauses ein Gill mit einem Maschinengewehr. Er beachtet uns nicht.
Unermüdlich läuft er das Dach ab und späht zum Himmel.
Kim reicht mir die Wasserflasche. »Trink alles
aus, sonst macht dich die Hitze fertig.« Sie blinzelt Richtung Sonne. »Wir werden
den Rest des Tages ohne weitere Rast durchlaufen. So wie der Himmel heute
aussieht, glaube ich nicht, dass sich Falkgreifer blicken lassen. Das müssen
wir nutzen.«
»Kommen wir heute an?«
Sie schüttelt den Kopf. »Du warst wohl noch nie im
Süden. Hier zieht sich die Stadt ewig hin.«
Das Funkgerät des Offiziers knarzt und knackt. Er
zieht es vom Gürtel und drückt auf einen Knopf. »Einheit 120, hier spricht Alf«,
meldet er sich und schreitet Richtung Straßenmitte.
»Wo seid ihr?«, knarzt es aus dem Gerät.
»Road Süd, Ecke Barac…k-e« Er blinzelt zu einem
verrosteten, kaum lesbaren Straßenschild. »Barack-O-Platz«, korrigiert er sich.
»Der Häuserblock am zweiten Ring.«
»Okay. Seid trotzdem vorsichtig! Auf der
nördlichen Stadtseite ist ein Falkgreifer gelandet und zwischen den Häusern
verschwunden.«
»Gute Jagd!«
»Wir werden ihn heute Abend grillen.« Ein
knarzendes Lachen ist zu hören. »Sollen wir dir ein Stück Geflügelbrust
aufheben?«
Alf lacht. »Ja, das wäre eine gute Abwechslung.
Bei uns gibt es wieder nur Taube.« Er verzieht das Gesicht und spuckt auf den
Boden.
Kim fasst sich in die Hemdtasche. Verstohlen
drückt sie mir zwei Tabletten in die Hand. »Nimm!«, zischt sie. »Wenn das
jemand mitkriegt, klauen sie mir die Dinger.«
Ich setze die Trinkflasche an den Mund und japse ein
unauffälliges »Danke«, bevor ich zu trinken beginne.
Am Abend habe ich wundgelaufene Füße, mein Rücken
brennt und juckt, meine Zunge fühlt sich pelzig an. An eine Dusche oder gar
eine Zahnbürste wage ich nicht zu denken.
Doch es kommt anders. Wir erreichen das Ende von Stadtring
drei und damit die Kadettenschule an der alten Stadtgrenze. Sie geben mir sogar
eine Einzelzelle mit einer Dusche, Seife und Zahnbürste. Ich reiße mir den
Verband ab und spüle das getrocknete Blut, die Schmerzen und Pa:ris’ Demütigung
in den Ausguss. Mein Rücken brennt. Ich schlüpfe ins Kleid, binde den Gürtel um
und lasse das Oberteil runterhängen. Mit nacktem Oberkörper lege ich mich auf
den Bauch. Das Feldbett ist mit einem frischen, weißen Laken bezogen. Was für
ein Luxus, denke ich und streiche über den kühlen, glatten Stoff. Unsere Laken
sind dunkelgrau oder schwarz und haben tausende kleine Knötchen.
Es klopft an der Tür. Kim tritt ein. Im Arm hält
sie frische Wäsche. Sie legt die Kleidung auf den Stuhl neben meinem Bett.
»Bleib so liegen!«, sagt sie. »Ich hole dir eine Salbe.«
Als sie zurück ist, setzt sie sich neben mich auf
die Bettkante. Vorsichtig tupft sie die Salbe über meine Wunden und kreist mit
den Fingerspitzen über die Haut. »Das sieht alles sehr gut aus. Nichts ist
entzündet. Du hast Glück. Wer hat dich so hart bestraft?«
»Pa:ris, der Sohn des Statthalters aus Bezirk drei.«
Mich wundert, dass sie nichts über mich und das Gerichtsurteil weiß.
»Bist du auch eine Gill?«, fragt sie.
»Nein.«
»Schade.«
»Aber ich wäre gern eine.«
»Wäre es nicht klüger, Pa:ris aus dem Wege zu
gehen?« Sie kneift die Augen zusammen.
»Nun sag schon, was du wissen willst«, zische ich.
»Ja, ich bin Pa:ris’ Verlobte und ich gehöre nicht zu seinem Elite-Regiment, wo
harte Strafen durchaus üblich sind. Und nun fragst du dich sicher, wie er dazu
kommt, mich so zu schlagen.«
Ich höre sie schlucken. »So in etwa.«
»Also gut. Ich bin unerlaubt aus der Stadt raus.
Damit ich zurück konnte, habe ich die Tür manipuliert. Der Richter hat mir das
als Hochverrat ausgelegt und Cesare Liberius hat in seiner Statthalterfunktion
dafür gesorgt, dass mir meine Strafe zeitlebens unvergesslich bleibt.«
Kim lacht. »War er es wert?«
»Wer?«, frage ich und stelle mich blöd.
»Verkaufe mich nicht für dumm.«
»Ich wollte nur den Wasserfall sehen.«
»Welchen?«
»Den am Nordtor.
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