Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
nicht raus …
Schon wieder werde ich weitergeschoben, nun zu
einem Sammelplatz für alle, die zum Lager wollen. Ein frisch eingetroffener
Kampftrupp wartet dort, ebenso etwa einhundert Frauen und Männer. Wir schließen
uns ihnen an und marschieren schließlich zusammen los. Vor mir liegt eine
schnurgerade, glatt betonierte Straße. Und daneben rollt im Schritttempo ein
haushoher solargetriebener Panzer. Vor Staunen kriege ich meinen Mund kaum zu.
Autos fahren schon lange nicht mehr in unserer Stadt, denn Benzin haben wir
nicht. Auch kein Rapsöl für Motoren. Die wenigen Felder, die wir haben, benötigen
wir für Getreide.
Ein schwarzes Kanonenrohr zielt auf die Hügel jenseits
des gesicherten Zauns.
Kim grinst. »Ich lasse mich hierher versetzen.«
Sie winkt und lässt sich von einem Offizier auf den fahrenden Panzer
hochziehen. Mir stockt das Herz. Ich wische meine schweißnassen Hände an den
Hosenbeinen ab. Das dunkelgrüne Blechmonster wirkt beinahe lebendig auf mich.
Es rollt langsam immer weiter und stößt dabei ein tiefes, dumpfes Grollen aus.
Seine schweren Ketten lassen den Boden vibrieren. Hinten und vorn sitzen
glühende Augen. Sie leuchten den Weg vor uns aus und lassen die Menschen wie
gespenstische Schatten erscheinen.
Auf halber Strecke dreht der Panzer plötzlich ein
Stück zur Seite und leuchtet eine karstige Felswand an, die sich in einigem
Abstand zur Straße befindet. Dort oben hängt irgendetwas Weißes. Es ist
viereckig, selbst im Halbdunkeln der Nacht blitzt es merkwürdig aus dem dunklen
Horizont hervor. Jemand im Panzer schaltet zusätzliche Scheinwerfer an.
Jetzt erkenne ich es: Über den grauen Felsen hat
jemand ein riesiges weißes Tuch gespannt. Es muss aus mindestens hundert weißen
Bettlaken zusammengenäht sein. Darauf steht in roter Farbe ein einziges Wort
geschrieben: KRIEG!
Kim springt vom Panzer herunter, der wieder in die
Ausgangsposition dreht und langsam weiterrollt.
»Das waren Falkgreifer!«, erklärt sie und schiebt
die Augenbrauen zusammen.
Langsam steuern wir auf einen würfelförmigen,
fensterlosen schwarzen Bunker zu. Er hat auf der Dachkante umlaufend eine
gezahnte Mauer. In die Mauer sind Schießscharten eingelassen.
Ein eckiger Turm in der Dachmitte weckt meine Neugier.
Er ragt so hoch, dass er die schwarzen Wolken am grauroten Nachthimmel berührt.
An den äußeren Ecken des Bunkers flattern rote Fahnen. Das Gebäude ist
flankiert von zwei schwarzen, etwas niedrigeren Anbauten. In den Stein über dem
Eingang sind die Worte Gute Ernte gemeißelt. Mich erinnert der Gebäudekomplex an eine mittelalterliche Burg, die
ich in einem Folianten in der Bibliothek meines Vaters gesehen habe. Nur, dass
diese Festung hier eckig ist und sehr viel größer und breiter.
Wir betreten ein Foyer, das kaum kleiner ist als
eine Bahnhofshalle. Die Gill-Einheit biegt zielstrebig links in einen Korridor
ab. Die Arbeiter verschwinden im Flur vor uns. Wir begeben uns nach rechts zu
einem Pförtnerzimmer mit der Überschrift: Neuankömmlinge!
Kim zieht einen Tablett-PC aus ihrem Marschgepäck.
Sie schaltet ihn ein und klickt meine Daten an. »Soraya, vergiss nicht, Pa:ris
hat für deine Unterkunft und Verpflegung gezahlt. Lass dir nicht das letzte
Loch andrehen! Außerdem bist du keine Gefangene, sondern auf Bewährung. Das
bedeutet, dass du vor allem zu Lern- und Erziehungszwecken hier bist. Was nicht
heißt, dass du von Arbeitseinsätzen verschont wirst.«
Ich nicke mit ungutem Gefühl im Bauch.
Arbeitseinsätze unter freiem Himmel sind lebensgefährlich. Offenbar ahnt Kim,
was ich denke. Hastig fügt sie hinzu: »Dir kann draußen auf den Feldern nichts
passieren, solange du dich an die Anweisungen der Gills hältst. Und bei Red Alert schicken sie nur die
Gefangenen raus.«
Kims Worte können mich kaum beruhigen, denn sie meint
die Tage, an denen mit massivem Falkgreifer- oder Wolferangriff gerechnet wird,
an denen immer einige Menschen sterben.
***
Ich laufe einer dürren, hakennasigen Frau mit
einer grauen Uniform hinterher. Solche Kleidung habe ich noch nie gesehen. Unsere
Gills tragen robuste Jacken oder Mäntel aus schwarzem Leder, manchmal auch Titanshell.
Dazu schwarze Hosen aus festem Leinen oder Leder. Die Uniform der Frau erfüllt
keinen brauchbaren Zweck. Der Rock ist eng und weder zum Arbeiten auf dem Feld noch
zum Kämpfen geeignet. Die Jacke sieht watteweich aus, wie feinst gesponnene
Wolle. Ein Falkgreifer würde den Stoff mitsamt der Haut darunter in
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