Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
und
derentwegen ich gern auf die Privatschule ging: Pa:ris und Alina.
»Die Schule? Wir haben nicht ewig Zeit«, drängt
die Lehrerin.
»Privatschule Michelangelo.«
»Na immerhin.« Die Lehrerin zieht eine Augenbraue
hoch und mustert mich. »Sicher ohne Abschluss.«
»Doch.«
»Was für eine Überraschung.« Sie klatscht in die
Hände. »Die meisten hier haben ihren Abschluss nicht geschafft. Ich bereite sie
darauf vor, dies baldigst nachzuholen. Seien Sie bitte so freundlich und stören
Sie ihren Lernprozess nicht.«
»Das habe ich nicht vor.«
»Ich erwarte von Ihnen darüber hinaus, dass Sie ihnen
helfen, das in der Schule Versäumte nachzuholen.«
»Werde ich.«
»Wie haben Sie denn eigentlich abgeschlossen?«
Verlegen senke ich den Kopf. Es ist mir peinlich,
und ich will nicht angeben. »Mit …«
»Mit Ach und Krach?«
»Nein, mit Auszeichnung.«
Schon wieder lacht jemand. Seine Stimme klingt
elegant und spöttisch zugleich. Lacht er mich oder die Lehrerin aus? Verstohlen
blicke ich mich um. Er zwinkert mir ungeniert zu. Der erste Lichtblick hier,
denke ich. Kurzes schwarzes Haar, ein männlich geschnittenes Gesicht und klare
türkisfarbene Augen, an deren Wimpern eine Spur Traurigkeit zu haften scheint.
Vielleicht wirkt er deshalb älter als alle anderen.
Vorsichtig lächele ich zurück.
Er greift neben sich und rollt mit dem Stuhl vor
und zurück. Da erkenne ich, dass er im Rollstuhl sitzt. Jetzt erst recht, denke ich und zwinkere anerkennend zurück.
Die Lehrerin beginnt mit dem Unterricht. Sie
erzählt etwas darüber, dass die Falkgreifer ihre Beute mit den Krallen
zerreißen und roh verzehren. Nur im Winter grillen sie das Fleisch und essen es
halbverkohlt. Schließlich müssen wir einen Aufsatz über Tischmanieren schreiben.
Kein Problem für mich. Einfach lächerlich, die Aufgabe. Weiße
Damast-Tischdecken, Gläseraufbau, Besteck von außen nach innen – ich lasse
nichts aus von den Erinnerungen an die Dinner beim Statthalter.
»Zeig mal her!« Die Blondine hinter mir greift
nach vorn und reißt mir den Zettel weg. »Das ist gut.« Anerkennend schnalzt sie
mit der Zunge. »Hier, du kannst meinen Text haben. Du hast ja schon deinen
Abschluss«, zischt sie und reicht mir ihr Blatt.
Der Typ im Rollstuhl senkt den Kopf und lacht leise.
Ich lese den Text: Bradhänchen mit Pommis
kann mann mit und ohne Bestek Essen. Mir bleibt nur Zeit, die
Rechtschreibfehler zu korrigieren. Dann schreibe ich in einer ähnlichen
Krakelschrift dazu: Wenn der Gastgeber Taube statt Hähnchen serviert, sollte
man sich nichts anmerken lassen und die Speise trotzdem loben, denn man ist
sein Gast.
Es läutet zum Stundenende. Sofort setzt ein
unglaublich lautes Scharren, Schnattern und Gewusel im Raum ein.
»Ruhe!«, brüllt die Lehrerin.
»Ihr sollt hier gutes Benehmen lernen. Das geht
auch alles ohne solchen Lärm. Hebt die Stühle an und kratzt damit nicht übers
Parkett. Und sprecht gefälligst im gesitteten Tonfall. Nur, wer das
erzieherische Ziel erreicht, darf zurück nach Hause.«
»Ich heiße Connor Doubt«, höre ich eine angenehme
Stimme hinter meinem Rücken und drehe mich um.
Er streckt mir die Hand entgegen.
Ich greife danach. Eine warme Hand, mit einem
festen, verlässlichen Händedruck.
»Freut mich.«
»Mich auch. Du bist der erste Lichtblick hier.
Soraya. Gab es nicht mal eine Prinzessin, die so hieß?«
»Keine Ahnung. Ehrlich, ich weiß es nicht.«
»Sehen wir uns heute Abend beim Billardspiel?«
Ȁhm, wohl nicht. Ich denke, ich werde nicht da
sein.«
»Ach, wolltest du lieber ins Kino gehen?«
Ich blinzele verlegen. »Gibt es hier etwa ein
Kino?«
Er lacht. »Nein, natürlich nicht.«
Fasziniert betrachte ich ihn. Wie er den Kopf
schüttelt und ihm das glänzende, schwarze Haar in die Stirn fällt. Er schiebt
es mit einer lässigen Handbewegung zurück. »Hier gibt es nur eine Theatergruppe.
Die sind grottenschlecht, aber irgendwie auch ganz unterhaltsam.«
Mir scheint, er ist einer von den wenigen
Menschen, die in einem einzigen Augenblick mehr Freude empfinden können, als
andere in einem ganzen Leben. Es fällt mir schwer, einen Grund zu finden, warum
er hier in der Erziehungsanstalt gelandet ist. Aber vermutlich denkt er
dasselbe von mir. Hochverrat. Die Tochter
einer Rebellin, einer verhassten Demoganierin. Das steht nicht gerade auf
meiner Stirn geschrieben.
»Wir haben jetzt eine halbe Stunde Frühstück und
dann Sport«, redet er weiter, während er sich schwarze
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