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Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze

Titel: Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin
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hält sie es an einem Zipfel hoch. »Sie haben
Glück, die Farbe steht Ihnen ganz ausgezeichnet zu Ihren … ähm … leuchtenden
Augen und dem rotbraunen Haar.«
    Offenbar hat sie dieselbe Schwierigkeit, meine
Augenfarbe zu definieren, wie alle anderen. Ich habe blaugrüne Augen mit kupferfarbenen
und violetten Sprenkeln.
    Reisles Blick gleitet über die Regalreihen. »Oder
wollen Sie doch lieber ein rotes Kleid? Ich glaube, ich habe hier noch irgendwo
eines.«
    Sie streckt die Hand nach einem Kleiderstapel aus.
Offenbar will sie mir etwas Gutes tun. Sie hat ja keine Ahnung, was sie damit
in mir auslöst. Augenblicklich fängt mein Herz an zu rasen und auf meine Stirn
treten Schweißperlen.
    »Nein, b-bitte«, stottere ich. »Ich habe ungute
Erinnerungen«, gestehe ich und kämpfe mit den Tränen.
    Mit ernstem Blick tritt sie näher und sieht mir in
die Augen. »Schon gut, Kindchen.« Sie drückt mir den Wäscheberg in die Arme und
knipst das Licht aus. »Hatten Sie schon etwas zum Abendbrot?«
    »Nein, aber ich habe auch gar keinen Hunger.« In
der Tat bin ich es kaum gewöhnt, abends etwas zu essen. Bei uns fällt diese
Mahlzeit oft aus, vor allem wenn uns die Falkgreifer tagelang belagern. In
solchen Zeiten liefern die Händler keine Lebensmittel in unseren Bezirk und die
Preise steigen von Tag zu Tag. Wenn es ganz schlimm kommt, dann bringen uns
irgendwann die Gills trockenen Zwieback, Bohnenkonserven und Dosenbrot. Alles
streng rationiert.
    Reisle klickt mit dem Zeigefinger auf den
Tablett-Computer. Dann schiebt sie die Augenbrauen zusammen. »Oh, ich sehe, da
liegt ein Irrtum vor. Sie gehören gar nicht auf Station zwei.«
    »Doch, doch. Frau Kasten sagt, auf Station eins
sei kein Zimmer frei.«
    »So, sagt sie das? Ich sehe hier noch zwei freie
Betten.«
    »Ach, bitte. Ich will keine Umstände machen.«
    »Sie haben aber Anspruch auf ein Zweibettzimmer
und besseres Essen.«
    »Bitte!«, flehe ich.
    »Nun, ich sehe ein …« Sie kneift die Augen
zusammen. »Unser grauer Hausdrache hat seine Krallen gezeigt und Ihnen tüchtig
Angst gemacht. Dann bleiben Sie erst einmal hier und schauen, ob Sie sich
einleben.«
    Erleichtert atme ich auf. Bloß nicht weiter
auffallen. Ich will einfach nur, dass dieser Albtraum irgendwann endet. Tief in
meinem Inneren weiß ich, dass mein Leben nie wieder so sein wird, wie es einmal
war. Vielleicht ist es genau das Richtige,
hier zu lernen sich anzupassen, stichelt eine kritische Stimme in mir. Das erwartet man nämlich von dir. Kapier das endlich!
    »Aber, eines kann ich Ihnen auf gar keinen Fall
durchgehen lassen«, sagt Reisle.
    Mein Herz klopft vor Schreck so laut, dass ich
glaube, die Aufseherin kann es hören. Ich schlucke.
    »Was, bitte?«
    »Als Premium-Kandidatin haben Sie jeden Vormittag
drei Stunden Unterricht. Diese arbeitsfreie Zeit dient der Schulung Ihrer
häuslichen Fertigkeiten und dem Erlernen des guten Benehmens. Das kann ich
Ihnen nicht ersparen. Ich werde dafür sorgen, dass da keine Ausnahme gemacht
wird.«
    Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll. »Ist
das gut?«, frage ich.
    »Ich denke schon. Die Arbeit auf dem Feld ist
anstrengend und gefährlich. Das werden Sie bald merken. Da nach dem Unterricht
die Arbeitstruppen bereits ausgerückt sind, werden Sie auch noch am Sportunterricht
teilnehmen. Was Sie da lernen, kann überlebenswichtig für die Außeneinsätze am
Nachmittag sein. So, nun zeige ich Ihnen das Zimmer.«
    Hastig überdenke ich meine gestiegenen
Überlebenschancen. Ich muss offenbar nur nachmittags draußen arbeiten. Und wenn
Kim recht hat, dann nur, solange wir keinen Angriffsalarm haben.
    Wir gehen den Gang zurück und bleiben vor Nummer
23 stehen. Reisle klopft kaum hörbar mit dem Handrücken gegen die Tür und betritt
das Zimmer. Sie knipst ein gelbgrünes Nachtlicht an, und ich sehe vier
Schlafplätze vor mir; ein Doppelbett rechts, eins links. Auf der
gegenüberliegenden Raumseite befindet sich eine Tür. Rechts und links daneben
stehen je zwei Spinde. Reisle zeigt auf das leere Bett rechts oben. Sie geht
daran vorbei, schließt einen Spind auf und drückt mir den Schlüssel in die
Hand. Mit einem Finger am Mund bedeutet sie mir, beim Einräumen leise zu sein. Ich
nicke. Dann verlässt sie auf Zehenspitzen den Raum.
    Kaum ist die Tür geschlossen, richten sich drei Gestalten
in ihren Betten auf.
    Ein Mädchen mit schulterlangem, schwarzem Haar
lässt die schlanken Beine herabbaumeln und hüpft aus ihrem Bett. Sie

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