Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
Unruhe.
Die Badezimmertür geht auf, Becky schlurft gähnend
ins Zimmer. Hinter jedem Schritt hinterlässt sie eine nasse Fußspur. Sie wringt
sich die Haare aus. »Ist frei jetzt«, nuschelt sie, geht zum Bett und lässt sich
mit einem dumpfen Rums auf die Kante fallen.
»Wir reden gleich weiter!«, sagt Kiki und stiefelt
über die Wasserpfützen, die Becky hinterlassen hat, ins Bad. Alice folgt ihr.
Da ich ahne, dass bald das Licht ausgeht, beschließe ich, mich in der
Zwischenzeit vor dem Spind zu entkleiden. Während ich das Hemd aufknöpfe, fällt
mir plötzlich auf, dass die Wäsche unordentlich im Fach liegt. Ich kontrolliere
meine Kleidungsstücke. Alles da. Aber die Halskette, die mir meine Mutter
gegeben hat, und die ich nicht tragen wollte, ist verschwunden. Ich hatte sie
unter den Stapel mit der Unterwäsche gelegt. Vorsichtig türme ich den gesamten
Wäscheberg auf den Tisch, schüttele ein Kleidungsstück nach dem anderen aus und
lege es zurück in den Spind.
Becky tritt neben mich. »Hey, der Tisch ist kein
Wäscheschrank.« Mit einer Armbewegung fegt sie alles herunter. Mein Hemd landet
in einer Wasserpfütze.
»Heute ist dein Glückstag«, sage ich und hebe das Kleidungsstück
auf. »Ich bin nicht zum Streiten aufgelegt. Das nächste Mal verpasse ich dir
eine.«
»Was du nicht sagst. Du kommst als Letzte hier
aufs Zimmer, und du willst mir sagen, wo es lang geht?«
»Ich will dich nur warnen. Geh mir aus dem Weg!«
Ich hänge das Hemd über die geöffnete Spindtür, damit es über Nacht trocknen
kann. Dann hebe ich die Hose auf. Deutlich sehe ich einen Fußabtritt, den Beckys
nasser Fuß auf dem Hosenbein hinterlassen hat.
»Willst du Krieg«, fauche ich sie an. »Den kannst
du gerne haben. Und verrate mir bei der Gelegenheit gleich mal, wo du meine
Halskette hingesteckt hast?«
»Ha«, lacht sie. »Du kannst mir gar nichts.«
»Was ist denn hier los?« Alice steht in der Tür.
Kiki drängelt sich an ihr vorbei.
»Schon erledigt«, murmele ich und lege die Hose
zusammen. »Ich vermisse nur einen Gegenstand. Da er mir aber nichts bedeutet,
ist mir wurscht, wo er hin ist.«
Kiki lehnt sich gegen den Bettpfosten und späht in
meinen Spind. »Na, es kann ja nischt so schwer sein, dat Ding zu finden. Bei
den paar Brocken.«
»Es ist eine Kette mit einem Medaillon.«
»Von deinem prügelnden Lover?«, fragt sie und hebt
eine Augenbraue.
»Nein, dann hätte ich sie längst ins Klo gespült.«
Ich zucke mit den Schultern. »Das Medaillon bedeutet mir eigentlich nichts. Ich
bekam es an einem Tag geschenkt, an den ich nie wieder denken möchte. Das ist
alles vorbei«, tue ich besonders gelassen.
»Gut, dann kann ich sie ja behalten.« Becky steht
neben ihrem Bett und schwenkt die Kette am Zeigefinger im Kreis. Das Medaillon
dreht sich.
»Behalt sie meinetwegen. Der Anhänger ist aus
Blech«, behaupte ich, um sie zu ärgern. In der Tat kann ich mir nicht
vorstellen, dass er aus Silber ist. Dazu ist er viel zu groß.
Becky legt das Teil um ihren Hals, schiebt Alice
beiseite und stolziert ins Bad.
»Soll ich sie für disch verprügeln?«, fragt Kiki
mich.
»Nein, bitte nicht. Das ist die Sache nicht wert.
Das sind doch nur alberne Machtspiele einer hirnamputierten Göre«, sage ich so
laut, dass Becky es hören kann.
Plötzlich steht Reisle in der Tür. »Was ist denn
hier los? So eine Unordnung. Wer hat das Wasser auf dem Boden verteilt? Und
warum liegt die Wäsche nicht im Spind?«
»Das war alles Soraya«, ruft Becky und reißt die
Badezimmertür auf.
»Hier hat Ordnung zu herrschen. Für heute verwarne
ich dich«, motzt die Aufseherin mich an. »Und wisch gefälligst das Wasser auf!«
»Ja, sofort!«, stammele ich und starre auf meinen
Verband, durch den gerade frisches Blut sickert.
Offenbar sieht Reisle das auch. Sie hält mich an
der Schulter zurück. »Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten«, nuschelt sie
und ihre Stimme wechselt von einem Moment auf den anderen in einen sanften
Tonfall. »Du warst heute sehr tapfer, damit wir im Winter Äpfel zu essen haben.
Nicht jeder hier schafft den weiten Weg bei der Hitze, und die wenigsten haben
den Mut, auf einen Baum zu klettern. Becky zum Beispiel kann das nicht.« Reisle
hebt die Stimme und blickt Becky an. »Nicht wahr Becky? Soraya hat auch für
dich ihr Leben riskiert. Du wirst dich dafür bei ihr bedanken, indem du ihre
Sachen in den Spind räumst und das Wasser aufwischst.«
Becky schnappt nach Luft.
Die Aufseherin schiebt
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