Raylan (German Edition)
irgendein Latino«, sagte Loretta, »der mit seinem kleinen Roller hochgefahren kam und auf meinen Dad geschossen hat. Natürlich war das Bob, wer sonst?«
»An dich erinnere ich mich«, sagte Raylan, »du hast im Laden eine RC Cola getrunken.«
Loretta sagte: »Keine Sorge, an Sie erinnere ich mich auch. Bobkommt also näher und feuert eine .44er mit einem 15mm-Lauf auf meinen Vater ab. Sobald ich die Kugel unter der Veranda gefunden und Ihnen die Falle gegeben habe, die sie ihm angelegt hatten ...« Sie sagte: »Daddy, zeig Raylan deinen Fuß.«
»Kann er doch so schon sehen.«
Er war geschwollen und blau angelaufen, kein schöner Anblick.
»Er hat auf meinen Vater geschossen«, sagte Loretta, »nur weil wir zwischen den Tomaten ein kleines Feld hatten. Bob hat gesagt: ›Wenn du noch mal was anbaust‹«, Loretta machte seinen Akzent nach, »›tauch ich dich in ein Fass voll mit heißem Teer und zünde dich an.‹ Hat damit gedroht, meinen Dad umzubringen.«
Raylan wandte sich an Ed. »Und die Falle an Ihrem Fuß, hat er die zuschnappen lassen, bevor oder nachdem er auf Sie geschossen hat?«
»Hinterher. Ich lag da in meinem Blut«, sagte Ed. »Und der andere Latino hat mir den Schuh vom Fuß gezogen. Ich saß auf der Veranda und hatte meine Hauspantoffeln an.«
»Bevor sie aufgetaucht sind«, sagte Loretta, »hat Bob noch angerufen und mir gesagt, ich solle meinem Vater ausrichten: ›Valdez kommt.‹ Haben Sie so was schon mal gehört?«
»Möglich«, sagte Raylan. »Aber du hast doch sicher preiswürdige Fotos gemacht.«
»Mit meinem Handy«, sagte Loretta und zog es aus ihrer Jeans, um es Raylan zu zeigen. »Ich habe noch mehr Fotos von Bob, er ist manchmal mit seinem Roller vorbeigekommen. Hat den Ausschnitt von meinem T-Shirt runtergezogen und reingekuckt. Ich werde Ihnen nicht erzählen, was er gesagt hat.«
»Hat er dich jemals irgendwie, du weißt schon«, fragte Raylan, »intim berührt?«
»Der Maisfresser hat meinen Dad angeschossen«, sagte Loretta, »und Sie wollen wissen, ob er mich begrabscht hat?«
Raylan sagte: »Ich gebe dir jetzt mal einen Rat, okay?«
»Ich soll niemanden Maisfresser nennen?«
»Ich meinte eher, falls du irgendwann mal was mit Jungs anfängst.«
»Machen Sie Witze? Hab ich doch längst.«
»Ich hoffe nur«, sagte Raylan, »dass du versuchst, ein bisschen Geduld mit ihnen zu haben.«
Von einer Erhebung aus beobachtete er das Lager, die Bäume gestatteten ihm einen Blick auf einen Streifen festgetretenen Lehmbodens auf dem Hof und ein Stück Scheune, in der die mexikanischen Pflücker in Hängematten schliefen. Einige von ihnen saßen gerade an einem der beiden Campingtische vor der Scheune und aßen zu Abend, Bob Valdez befand sich an dem Tischende, das am weitesten vom Campingkocher entfernt war. Raylan betrachtete Bob durch sein Fernglas: den Strohhut tief in die Stirn gezogen, die Hand auf dem Hintern des Mädchens, das ihm Bohnen und Reis servierte. Raylan richtete das Fernglas auf die weiß gestrichenen Nebengebäude, ausgebaute ehemalige Kuhställe, die etwas weiter entfernt auf der Wiese standen.
Darin, da, wo die Sperrholzwände mattweiß gestrichen waren, befanden sich Pervis’ Hydrokulturgärten, die genauestens überwacht wurden, um die immer gleiche Lufttemperatur zu gewährleisten, den richtigen Nährstoffzusatz zum Wasser und das Funktionieren der Belüftung sowie des 400-Watt-Beleuchtungssystems, das während der Keimphase rund um die Uhr lief und in der Wachstumsperiode im 12-Stunden-Rhythmus aus- und angeschaltet wurde. Nach der Ernte brachte jede vonPervis’ ungefähr hundert Pflanzen dreißig Gramm erstklassiges Marihuana auf die Waage. Was Pervis alle drei bis vier Monate einen Ertrag von etwa fünfzigtausend Dollar bescherte.
Raylan fragte sich, ob man, wenn man es rauchte, über idiotische Dinge lachte, die man nur in diesem Moment witzig fand.
Vielleicht hatte Bob Loretta belästigt, vielleicht auch nicht. Aber auf McCready in seinen Hauspantoffeln hatte er definitiv geschossen, und zwar vor den Augen seiner Tochter, die mit ihrem Handy Fotos gemacht hatte, die Raylan Bob, falls nötig, zeigen konnte. Nicht dort unten, zwischen den ganzen zu Abend essenden Feldarbeitern, sondern hinten, bei den Kuhställen. Er hatte gehört, dass Pervis Schilder aufgestellt hatte, auf denen stand: ›Genehmigt durch das Gesetz des Landes. Betreten verboten!‹ Um ganz sicherzugehen, dass er weder bestohlen noch verhaftet wurde, stand darunter noch:
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