Raylan (German Edition)
»Hazen, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid uns das tut. Aber es war kein bewaffneter Gorilla, der Ihren Bruder erschossen hat. Wir beschäftigen keine bewaffneten Gorillas.« Sie sagte: »Otis hat sein Haus verloren, weil jemand auf einer Baustelle fahrlässig Schutt abgeladen hat. Ich kann gut nachvollziehen, warum Otis wütend war, aber – und es tut mir wirklich leid, das sagen zu müssen – Ihr Bruder hat mit einer Schrotflinte auf mich geschossen. Er wollte gerade noch einmal feuern, als einer unserer Angestellten eingeschritten ist.«
»Meinen Sie Boyd Crowder«, fragte Hazen, »der da drüben an der Wand steht?« Und: »Boyd, hast du ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, von wegen Otis hat danebengeschossen?«
»Ms. Conlan war da!«, sagte Boyd. »Sie hat es selbst gesehen.«
»Dann lügt ihr beide«, sagte Hazen. »Otis schießt nicht daneben. Du hast ihn erschossen, als er gerade nicht hingesehen hat.«
Raylan sah Hazen zu Boyd gehen und etwas zu ihm sagen, ein paar Worte nur, dann bahnte er sich weiter seinen Weg durch die Menge, viele Hände klopften ihm auf die Schultern. Raylan bekam einen Hauch von Carols Parfum in die Nase und wandte den Kopf, sie stand direkt neben ihm.
Sie sagte: »Wollen Sie ihn denn nicht verhaften?«
Raylan fragte: »Wen jetzt?«
Eine Frau in der ersten Reihe erhob sich und sagte zu Carol: »Sie wohnen nicht in der Nähe einer Mine, oder? Wissen Sie eigentlich, was das für die Menschen bedeutet, die dort wohnen? Alles, was sie besitzen, ist mit Kohlenstaub überzogen. Alles, jede Fläche, das ganze Haus. Spricht man deswegen von Oberflächenkohle? Der Staub ist in deiner Badewanne, in deinem Brunnen – das Wasser wird ungenießbar. Mein Auto ist jeden Morgen überzogen von einer dicken Schicht Kohlenstaub. Bevor ich zur Arbeit fahre, muss ich es waschen.«
»Augenblick mal«, sagte Carol. »Es überrascht Sie, dass manche Dinge davon dreckig werden? Sehr verehrte Dame, es ist Kohle! Sie leben im Herzen von Coal Country! Wenn hier ein Junge vom Spielen nach Hause kommt, sagt seine Mutter: ›Liebling, deine Hände sind schwarz wie Kohle. Wasch sie, bevor Opa dich erwischt.‹ Der alte Mann lebt seit fünfzig Jahren im Kohlenstaub, der Staub, über den Sie sich beschweren, sitzt tief in seinen Poren. Sehr verehrte Dame, die USA gewinnen mehr als die Hälfte ihres Stroms aus Kohle. Hören wir etwa auf, Kohle abzubauen, nur weil sie schmutzig ist? Mein Vater ist immer derart dreckig nach Hause gekommen, dass man außer den Augen nichts mehr von ihm sah. Die Kohleindustriefördert jedes Jahr vierzig Millionen Tonnen Kohle. Die Hälfte davon stammt aus dem Tagebau.«
Eine Frauenstimme sagte: »Aber wenn man jetzt schon alles rausholt, was machen dann zukünftige Generationen?«
»Was haben zukünftige Generationen je für uns getan?«, sagte Carol. »War nur Spaß. Wissen Sie, von wem das war? Von Groucho Marx. Wir sollten uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob uns die Kohle ausgeht. Ich weiß, dass wir für die nächsten zweihundertfünfzig Jahre noch genug im Boden haben.«
Eine Männerstimme meldete sich zu Wort: »Wir könnten aber heute bereits Strom aus Windrädern kriegen, so wie in Holland. Sauberer Wind, ohne Ruß, der auf uns weht.«
»Die Windkraftverfechter vergessen immer eines«, sagte Carol. »Windturbinen können schwere gesundheitliche Probleme verursachen, Kopfschmerzen und Schlafstörungen, Kinder kriegen Alpträume.«
Eine Männerstimme: »Sie holen so viel aus dem Berg, Ihr Konzern wird immer reicher, und trotzdem sind wir der ärmste Landkreis in Kentucky, weil die meisten von uns arbeitslos sind.«
»Was sagt mir das?«, meinte Carol. »Wir müssen noch viel mehr abbauen, damit ihr Jungs mehr Arbeit habt.«
Die Stimme eines Bergmanns: »Es läuft doch so: Wir haben eine Zeit lang Arbeit, die Firma fördert, solange der Preis für Kohle hoch ist. Sinkt der Preis, meldet die Firma Insolvenz an und macht sich bei Nacht und Nebel vom Acker.«
»Ihr wisst, es gibt immer Risiken«, sagte Carol. »Ein Abbaugebiet in Betrieb zu nehmen, kostet ein Vermögen. Wenn man weniger Kohle vorfindet, als erwartet, muss man es woanders erneut versuchen. Es ist der Kohlepreis, der auf dem Markt gezahlt wird, mein Herr, der uns im Geschäft hält.«
»Sie hauen ab«, sagte eine Stimme, »ohne den Dreck wegzumachen, den Sie verursacht haben. Ein Becken, in dem Sie mehrere Tonnen Kohleschlamm aufgefangen haben, voll mit giftigen Chemikalien, bricht, das ganze
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