Raylan (German Edition)
Zeug ergießt sich ins Tal und kontaminiert das Wasser. Wissen Sie, was Ihr Boss, der CEO von M-T Mining, dazu gesagt hat?«
»Dass es höhere Gewalt war«, sagte Carol. »Ich glaube, mein Boss meint es durchaus so, wie er es sagt. Er ist ein Kirchgänger, er hält die Wege des Herrn für unergründlich und glaubt, dass wir sie nicht immer verstehen. Warum sollte es auch keine höhere Gewalt sein? Gott will uns sagen: Wenn ihr schon Rückhaltebecken baut für den Schlamm, dann baut doch um Himmels Willen wenigstens welche, die halten.« Und fügte hinzu: »Manchmal müssen wir etwas auf die harte Tour lernen.«
Dafür bekam sie beifällige Pfiffe, eine Frau sagte »Amen«, und Carol fühlte sich der Versammlung näher.
Sie sagte: »Ich weiß, dass man für die Arbeit im Tagebau anständig bezahlt wird. Ich glaube, im Moment eintausendeinhundertzwanzig Dollar die Woche.« Und gleich darauf: »Raylan Givens«, sie streckte die Hand in seine Richtung aus, »ich glaube, die meisten von euch kennen ihn. Ein Richter hat mir Raylan als persönlichen Bodyguard zugewiesen. Ich habe ihn gefragt: Wieso brauche ich Schutz? Sind wir nicht alle Freunde?« Der Lärmpegel stieg an. »Raylan arbeitet für Vater Staat, er ist ein Federal Marshal und schon diverse Male ausgezeichnet worden, weil er Verbrecher zur Strecke gebracht hat.«
Sie ließ die Kumpel johlen und pfeifen und wandte sich an Raylan: »Marshal, darf ich Sie fragen, ob sich Ihr Gehalt als Polizeibeamter in der Nähe von elfhundert pro Woche bewegt?«
Diese Frage überraschte ihn, er zögerte und setzte erst mal seinen Stiefel von der obersten Stufe auf die Bühne. Dann sagte er: »Der Grundlohn liegt ungefähr in diesem Bereich.«
»Also ungefähr so hoch wie der eines Arbeiters im Tagebau.«
»Na ja, Überstunden bekomme ich auch bezahlt...«
»Aber Ihr Grundlohn unterscheidet sich nicht deutlich von dem, was Sie bekommen würden, wenn Sie Kohle fördern würden. Stimmt das?«
»Ja, der Unterschied ist nicht groß«, sagte Raylan. »Allerdings wird ein Marshal jedes Jahr zweiundfünfzig Wochen lang bezahlt. Ich mache meinen Job jetzt seit zehn Jahren, was bedeutet, dass ich fünfhundert Wochen am Stück bezahlt worden bin, ohne Ausnahme. Wenn ich mal einen Tag zu Hause bleibe – manchmal bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich mit einem üblen Kater im Bett liege ...«
Raylan machte eine Pause, damit die Arbeiter aufwachen und Kommentare einwerfen konnten. »Sag ruhig, wie’s ist«, riefen sie, »ein freier Tag ist ein Tag voller Schmerzen!«
»Wenn ich also mal einen Tag krank bin«, sagte Raylan, »werde ich nicht gleich gefeuert.« Hielt einen Moment inne und fügte hinzu: »Nein, ich werde sogar noch dafür bezahlt.«
Carol hatte es kommen sehen. Als Raylan fertig war, brach in der Halle der Applaus los, Pfiffe gellten, die Kumpel brüllten seinen Namen, riefen, »Gib’s ihr, Raylan!«, und Carol wurde klar, dass sie es vermasselt hatte. Sie selbst hatte Raylan das Wort erteilt, und sie unterbrach ihn nicht einmal, als er fortfuhr: »Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen meinem Lohn und dem eines Bergarbeiters, der für ein Unternehmen arbeitet, das einfach dichtmacht, wenn es ihm gerade in den Sinn kommt«, was die Menge zu weiteren Zwischenrufen und Applaus animierte.
Die meisten im Saal waren inzwischen aufgesprungen, und Carol verkündete: »Wir machen eine kurze Pause, in Ordnung? Im Foyer stehen Getränke bereit. Danach kommen wir alle wieder hier zusammen und machen weiter, okay? In der Zwischenzeit rede ich mal ein Wörtchen mit Raylan und mache ihm klar, dass er mich beschützen soll, anstatt mir in den Rücken zu fallen.«
Diese Hinterwäldler hörten sowieso nicht mehr zu.
Sie sah, wie Raylan sich mit den Arbeitern unterhielt, die sich um ihn scharten, und ging quer über die Bühne zu Winona, die stenografiert hatte. »Winona? Hallo, ich bin Carol. Es freut uns sehr, dass wir Sie für diese Veranstaltung gewinnen konnten.«
»Ich habe mich gefragt, warum Sie unbedingt mich wollten«, sagte Winona. »Wahrscheinlich nur, weil ich früher mal eine Weile mit Raylan verheiratet gewesen bin und er Sie interessiert.«
»Meine Güte«, sagte Carol, »Sie reden nicht lange drumrum, oder?«
»Ich habe mich gefragt, warum Sie überhaupt eine Gerichtsschreiberin haben wollten. Weil das mein Beruf ist und Sie mich so über Raylan ausfragen können? Oder weil Sie gern Protokolle lesen?«
Carol drehte sich um, trug ihren Stuhl
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