Readwulf
einfach für mich.«
»Ja, das merke ich«, fauchte ich zurück.
»Also gut … deine Mutter! Sie ist nicht tot.«
»Bitte was?« Wie makaber war das jetzt wieder und was hatte er mit meiner Mutter zu tun. Ich verstand gar nichts mehr und brüllte verzweifelt los: »Du Schwein, was soll das? Wie kannst du nur so grausam sein?«
Ich wollte mich losreißen, doch er hielt meine Hand zu fest. Er zog mich an sich. Diese Nähe war kaum zu ertragen.
»Nein, du verstehst nicht. Ich rede von Manon Mirabeau, deiner leiblichen Mutter.«
Sichtlich geschockt hielt ich inne. Tränen liefen über mein Gesicht, mein Kopf war plötzlich wie leer gefegt.
»Sag das noch mal!«
»Manon Mirabeau, deine leibliche Mutter. Sie lebt hier in Frankreich und deshalb habe ich dich hier her gebracht«, beschwor er mich.
Mir blieb förmlich die Spucke im Halse stecken. Ich wusste nichts mit dieser Information anzufangen. Ich hatte nicht ein einziges Gefühl in mir. Keine Freude, keine Sehnsucht, keine Neugier. Da war absolut gar nichts! Ich hatte eine Mutter. Sie war tot. Nur dieser Gedanke brach die tiefe Traurigkeit in mir wieder auf und ließ mich etwas fühlen.
»Und wenn ich sie nicht sehen will?«, gequetschte ich aus mir heraus. Ratlos starrte mich Readwulf an. Er hatte wohl mit einer anderen Reaktion gerechnet.
Ich stieß ihn weg: »Bitte, lass mich!« Weinend und aufgelöst kroch ich unter die Bettdecke auf der weichen Matratze.
»Es tut mir leid … ich wusste nicht … ich dachte du«, versuchte er sich zu erklären, doch ich hörte nicht mehr hin.
Er saß reglos auf der Bettkante. Dann nahm er das andere Bettzeug und verschwand ohne ein weiteres Wort im Badezimmer.
Eine ganze Weile mochte so vergangen sein, in der ich Rotz und Wasser geheult hatte. Das Kissen war durchnässt und fühlte sich, vorsichtig ausgedrückt, nicht mehr gut an meiner Wange an.
Mir war noch so vieles unklar, zum Beispiel woher Readwulf so viel über mich und meine Vergangenheit wusste. Wieso war Mary Ann nicht meine Mutter? War Harry mein Vater? Wieso interessierte sich Read überhaupt dafür und wer zum Teufel war er wirklich? Das ich verfolgt wurde, verwirrte mich gänzlich. Ich hatte keinen einzigen Beweis in der Hand. Also was sollte das alles?
Einzige das dritte Zimmer machte jetzt Sinn. Falls der Typ uns heute Nacht im Hotel aufsuchen wollte, hatte er so bestimmt den Eindruck, wir wären abgereist.
Mein Zeitgefühl ließ mich im Stich. Überhaupt fühlte ich mich in diesem großen Bett wie verloren. Mit der Bettdecke umwickelt stolperte ich ins Bad. Read lag mit seinem Bettzeug in der großen Doppelbadewanne. Ein Bild, was ich so schnell nicht wieder vergessen würde.
Seine Augen funkelten im Dunkel. Er wollte gerade etwas sagen, als ich ihm meinen Finger auf die Lippen legte: »Schhh«, hauchte ich verrotzt. Ohne Umschweife stieg ich in sein hartes Nachtlager und kuschelte mich fest an ihn. Das letzte was ich jetzt wollte, war alleine zu sein.
Ich atmete tief aus und schloss die Augen, in der Hoffnung endlich meinen Kopf abschalten zu können. Geduldig hielt er mich im Arm und streichelte mir über mein verwuscheltes Haar.
»Verzeih mir!«
Den folgenden Kuss auf meine Stirn empfand ich dieses eine Mal als angebracht.
***
Kapitel 8
Perfekte 42 Grad
Seit dem Erwachen bis zum Frühstück, im kathedralartigen Speiseraum des Hotels, schwiegen wir uns an. Ich hielt mich müde an meinem, inzwischen kalt gewordenen, Morgenkaffee fest und versuchte immer wieder seinen durchdringlichen Blicken auszuweichen.
Ab und an schaute ich verstohlen auf und sah einen doch recht geknickt wirkenden Mann vor mir sitzen. Er wirkte zum ersten Mal etwas hilflos auf mich und grübelte, wohl genau wie ich, nach einer Lösung. Keiner von uns wollte etwas Falsches sagen, oder den Anfang machen.
Minuten später gab ich mir einen Ruck und begann: »Wir müssen reden.«
»Ja du hast recht. Es tut mir so leid!«, ergriff er das Wort, doch ich unterbrach ihn direkt wieder: »Nein, nein! Das muss dir nicht leid tun. Du hast ja nicht wissen können, wie es in mir aussieht.«
»So ist es nicht ganz. Ich schulde dir seit langem eine Erklärung, Jules« Er senkte den Kopf.
Ok, dann rede auch endlich , dachte ich und befürchtete sofort das Schlimmste.
»Also«, antwortete ich gefasst.
»Bitte hör dir erst an, was ich zu sagen habe.« Eine Pause später fügte er hinzu: »Bevor du urteilst oder mich unterbrichst.«
Ich zog die Augenbrauen kurz hoch und
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