Reagans Satellit
ausgerüstet, die Sauerstoffvorräte auf den Rücken, drangen die drei Ankömmlinge in eine Höhle ein. Regans Haut kribbelte. Er kam sich vor wie ein Archäologe, der das Grabgewölbe des Tutenchamon betritt, um ihn lebendig vorzufinden.
Auf jeden Fall war es in der Höhle so erdrückend wie in einem Grabgewölbe. Stille und Trockenheit des Todes herrschten darin. Regan kannte Filme von diesen Höhlen – natürlich war die Welt nach der Entdeckung der alten Marsianer in Aufruhr geraten, vor kaum zwei Jahren. Erstes außerirdisches Leben war gefunden worden! Das war die größte wissenschaftliche Sensation seit Beginn des Raumfahrtzeitalters gewesen. Aber die Filme bedeuteten nichts gegen die gruselige Wirklichkeit. Regan stand im Höhleneingang und spähte mit verkniffenen Augen in das Halbdunkel, und dann schien die Zeit rückwärts zu laufen, als die Marsianer sich aus der Tiefe der Höhle ihren Besuchern näherten.
Es waren sechs. Sie sahen aus wie Zwerge, nicht mehr als siebzig Zentimeter groß, mit grauer Haut, trocken und ledrig, und zerbrechlichen Gliedmaßen. Ihre gewölbten, kahlen Schädel schienen von den schmächtigen Hälsen fallen zu wollen. Zwei enorm große Augen, eine winzige Nase und ein dünner Mund bildeten das Gesicht eines Marsianers.
Sie schauten gleichmütig drein und zeigten kaum Interesse. Curtis trat vor und sagte etwas in einer schnatternden, kehligen Sprache, die wie das Aneinanderreihen von Insektenflügeln klang. Die Marsianer antworteten nicht sofort; dann neigte einer von ihnen den Kopf und erklärte in Englisch: »Es macht uns nichts aus.«
»Kommen Sie«, sagte Curtis. »Sie erlauben uns, ihre Höhle anzuschauen.«
Einige schmale Stufen führten ein Stück weit abwärts. Dahinter machte die Höhle eine Biegung nach rechts. Curtis ging voran. Regan und Nola folgten ihm so schweigsam wie zwei Kinder im Spielzeugwunderland. An den Seiten waren kleine Wohnnischen aus dem Fels gehauen, die schlichte Einrichtungsgegenstände enthielten. Die kleinen Lagerstätten waren aus Pflanzenfasern hergestellt und ähnelten japanischen Matten. In einigen Nischen gab es Wandmalereien; die Farben waren matt, die Motive abstrakt und rätselhaft.
In jeder Räumlichkeit stand ein Topf mit einer Pflanze, deren breite Blätter in schwachem Gelb glänzten. »Biolumineszenz«, flüsterte Curtis. »Sie haben keine Elektrizität. Damit beleuchten sie ihre Behausungen.«
»Und woher bekommen sie Luft und Wasser?« fragte Nola.
Curtis deutete auf eine andere Pflanzenart, die weißlich war und dicke Blätter besaß. »Diese Pflanzen scheiden Sauerstoff aus. Jedenfalls genug für die Marsianer. Wir sind dabei, diese Pflanze zu studieren, weil wir hoffen, sie über die ganze Oberfläche verbreiten zu können.« Er nickte zu einer weiteren Pflanze hinüber, die in einer eigens für sie angelegten Felsnische wuchs. Aus einem Stamm ragte eine Vielzahl tauähnlicher Äste, die in geschwollene Hülsen mündeten, so dick wie Kinderköpfe. Ein Marsianer nickte Curtis zu, der daraufhin einen Ast herabbog und die Hülse entfernte. Wasser troff heraus. Curtis reichte sie einem Marsianer, der sie an den Mund setzte und ausdrückte.
»Aber woher bezieht die Pflanze das Wasser?« fragte Regan.
»Es gibt hier unterirdische Quellen – hundert oder zweihundert Meter tief. Die Wurzeln der Pflanze reichen so tief hinab. Sie speichert Wasser in den Hülsen. Nicht viel, aber die Marsianer brauchen wenig. Eine Handvoll am Tag genügt ihnen.«
»Und Nahrung?« meinte Nola. »Was essen sie?«
»Ebenfalls Pflanzen. Die Marsianer sind äußerst anspruchslos, schon deshalb, weil die Natur ihnen nur genau so viel liefert, wie sie zum Weiterleben unbedingt benötigen. Wahrscheinlich bilden sie die einzige rein malthusianische Gemeinschaft, die jemals existiert hat. Sie wagen es nicht, sich stark zu vermehren, weil sie sonst verhungern und verdursten müßten.«
Regan musterte die Marsianer, die sie begleiteten, verstohlen wie Schatten. Das Wunder ihres Überlebens rührte ihn. Es war das Gegenstück jenes anderen Wunders, des Erblühens der irdischen Marskolonien. Dort war Tatkraft, Dynamik, jene Eigenschaften, die Regan so hoch schätzte. Hier gab es nur Resignation, Niedergang, Alter – unglaubliches Alter – und Gebrechlichkeit. Jugend und Alter teilten sich diese Welt, die sterbende Rasse und das künftige Herrschergeschlecht. Die alten Marsianer faszinierten ihn. Und in seinem Verstand formte sich eine
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