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Rebecca

Rebecca

Titel: Rebecca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Du Maurier
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nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und sah mich an. Es fiel mir auf, wie mager sein Gesicht war, wie müde und vergrämt. Und unter seinen Augen lagen tiefe Schatten.
    «Wie sehr liebst du mich?» fragte er.
    Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Ich konnte ihn nur sprachlos anstarren, seine dunklen gequälten Augen, seinen blassen Mund.
    «Es ist zu spät, Liebste, zu spät», sagte er. «Ich habe meine Chance, glücklich zu sein, verpaßt.»
    «Nein, Maxim, nein», bat ich.
    «Doch», sagte er. «Jetzt ist es damit vorbei. Jetzt ist das eingetreten, was ich befürchtete.»
    «Was denn nur?»
    «Es mußte so kommen, es hat Tag und Nacht auf mir gelastet. Du und ich, wir sollten eben nicht glücklich werden.» Er setzte sich auf die Bank am Fenster, und ich kniete vor ihm, meine Hände auf seinen Schultern.
    «Wovon redest du?»
    Er legte seine Hände auf meine und blickte mir ins Gesicht. «Rebecca hat gewonnen», sagte er.
    Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an; das Herz klopfte mir zum Zerspringen; meine Hände waren plötzlich eisig kalt geworden.
    «Ihr Schatten hat die ganze Zeit zwischen uns gestanden», sagte er. «Ihr verfluchter Schatten hat uns getrennt.
    Wie durfte ich dich denn so halten, mein Liebling, meine kleine Liebste, während ich ständig diese Furcht mit mir herumtrug? Ich erinnere mich an ihre Augen, wie sie mich ansah, als sie starb. Ich sehe noch ihr heimtückisches Lächeln. Sie wußte genau, wie alles kommen würde, sie wußte, daß sie mich zuletzt doch besiegen würde.»
    «Maxim», flüsterte ich. «Wovon sprichst du? Was willst du mir sagen?»
    «Man hat ihr Boot gefunden», sagte er. «Der Taucher hat es heute nachmittag entdeckt.»
    «Ich weiß, Captain Searle hat mir davon erzählt. Du denkst an die Leiche, die in der Kajüte gesehen wurde?»
    «Ja», erwiderte er.
    «Sie war also damals nicht allein», sagte ich. «Irgend jemand ist mit ihr gesegelt, und du mußt jetzt versuchen, herauszubekommen, wer es war – das ist es doch, nicht wahr, Maxim?»
    «Nein», entgegnete er, «nein, du verstehst nicht.»
    «Ich möchte dir so gern helfen, Maxim.»
    «Rebecca war damals allein im Boot, es war niemand bei ihr», sagte er.
    Ich beobachtete stumm sein Gesicht.
    «Es ist Rebeccas Leiche, die dort in der Kajüte liegt.»
    «Nein», stammelte ich, «nein.»
    «Die Frau, die in unserer Familiengruft beigesetzt wurde, war nicht Rebecca», fuhr er fort.
    «Es war der Leichnam einer Unbekannten, die kein Mensch vermißte, nach der niemand fragte. Es hat gar kein Bootsunglück gegeben; Rebecca ist nicht ertrunken. Ich habe sie getötet. Ich erschoß Rebecca da drüben im Bootshaus. Ich trug ihre Leiche in die Kajüte und versenkte das Boot. Es ist Rebecca, die man heute gefunden hat. Und jetzt schau mir in die Augen und sag mir, daß du mich noch liebst!»

20
    Es war sehr still in der Bibliothek. Der einzige Laut kam von Jasper, der seine Pfote leckte.
    Er mußte sich einen Dorn eingetreten haben, denn er biß und rieb seine Ballen unaufhörlich.
    Dann hörte ich das Ticken von Maxims Armbanduhr dicht an meinem Ohr. Kleine
    Alltagsgeräusche. Aus irgendeinem Grunde kam mir das Sprichwort aus meiner Schulzeit in den Sinn: «Zeit und Gezeiten warten auf keinen.»
    Wenn jemand einen großen Schmerz erleidet, den Tod eines nahestehenden Menschen oder den Verlust eines Gliedes, dann empfindet er ihn zunächst gar nicht, glaube ich. Wenn einem die Hand amputiert wird, dann weiß man zuerst noch nicht, daß man sie verloren hat. Man fühlt immer noch die Finger. Man streckt sie aus und krümmt sie, einen nach dem anderen, und das, was man fühlt, ist doch gar nicht mehr da. Ich kniete dort neben Maxim, dicht an ihn geschmiegt, meine Hände auf seinen Schultern, und ich empfand nichts, weder Schmerz noch Furcht, und mein Herz kannte kein Entsetzen. Ich überlegte mir, daß ich den Dorn aus Jaspers Fuß ziehen müßte, und ob Robert bald kommen würde, um das Teegeschirr abzuräumen. Ich wunderte mich über mich selber, daß ich in diesem Augenblick an solche Belanglosigkeiten denken konnte, an Jaspers Pfote, Maxims Uhr, Robert und das Teegeschirr. Meine Empfindungslosigkeit und diese merkwürdige Herzenskälte erschreckten mich. Allmählich werde ich wieder anfangen zu fühlen, sagte ich mir, allmählich werde ich zu verstehen lernen. Alles, was er mir erzählt hat und was geschehen ist, wird sich zu einem Ganzen zusammenfügen wie die verschiedenen Teilchen eines Puzzlespiels und sich

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