Rebecca
als ob sie aus Stroh wären. Ich lehnte mich gegen das Sofa. Mund und Kehle waren wie ausgetrocknet. Gleich darauf kam Maxim herein und blieb an der Tür stehen. Er sah erschöpft und alt aus. Um seinen Mund hatten sich Falten gebildet, die ich vorher nie gesehen hatte.
«Es ist alles vorüber», sagte er.
Ich wartete. Ich konnte noch immer nicht sprechen oder mich bewegen.
«Selbstmord», sagte er. «Ohne Anhaltspunkte für den Beweggrund. Die Geschworenen waren natürlich völlig am Ende ihrer Weisheit und wußten schließlich gar nicht mehr, was sie sagen sollten.»
Ich setzte mich auf das Sofa. «Selbstmord!» sagte ich. «Ohne Begründung? Was hat man denn als Begründung angenommen?»
«Gott weiß», sagte er. «Sie schienen eine Begründung nicht für notwendig zu halten. Der alte Horridge sah mich mißtrauisch an und wollte wissen, ob Rebecca vielleicht Geldsorgen gehabt habe. Geldsorgen – du guter Gott!» Er trat ans Fenster und blickte auf den Rasen hinaus. «Es wird gleich regnen», sagte er. «Gott sei Dank, daß wir endlich Regen bekommen.»
«Wie war es denn?» fragte ich. «Was hat Horridge denn noch alles gefragt? Warum hat es noch so lange gedauert?»
«Er ist immer wieder auf jede Einzelheit zurückgekommen», sagte Maxim. «Auf
Nebensächlichkeiten, die keinen Menschen interessierten. Ob die Flutventile schwer aufzudrehen seien? Wo sich das erste Loch im Verhältnis zum zweiten befinde? Woraus der Ballast bestehe? Welche Wirkung es auf die Stabilität des Bootes habe, wenn man den Ballast verschiebe? Ob eine Frau das allein tun könne? Ob die Tür der Kajüte fest geschlossen werden konnte? Welcher Wasserdruck notwendig sei, um die Kajütentür aufzubrechen? Ich dachte, ich würde wahnsinnig. Aber ich hielt mich im Zaum. Dein Anblick dort an der Tür erinnerte mich an meine Pflicht. Wenn du nicht ohnmächtig geworden wärst, hätte ich es niemals bis zum Ende durchgehalten. So aber riß ich mich zusammen. Ich wußte genau, was ich sagen mußte. Ich wandte meine Augen nicht eine Sekunde von Horridge ab, von diesem spitzen, kleinlichen Gesicht und dem goldenen Kneifer. An das Gesicht werde ich mein Lebtag denken. Aber jetzt bin ich müde, Liebste, so müde, daß ich kaum noch sehen oder hören und fühlen kann.»
Er ließ sich schwer auf die Bank am Fenster fallen und stützte den Kopf in die Hände. Ich eilte an seine Seite.
Nach ein paar Minuten erschienen Frith und Robert mit dem Tee. Die feierliche Zeremonie nahm ihren alltäglichen Verlauf, die Tischklappen wurden hochgestützt, das schneeweiße Tuch wurde aufgelegt, die silberne Teekanne griffbereit hingestellt und der Wasserkessel über das Spiritusflämmchen gehängt. Dazu wie üblich Sandwiches, Teegebäck und dreierlei Kuchen. Jasper saß auf seinem gewohnten Platz neben dem Tisch, klopfte dann und wann mit dem Schwanz auf den Boden und sah mich erwartungsvoll an. Komisch, dachte ich, wie das tägliche Leben weiterläuft, ganz gleich, was geschieht. Wir tun immer dasselbe: wir essen, wir waschen uns, wir schlafen. Kein noch so kritisches Ereignis kann die Macht der Gewohnheit brechen. Ich schenkte Maxim Tee ein, brachte ihm die Tasse und etwas Gebäck zum Fenster und nahm mir selbst ein Sandwich.
«Wo ist denn Frank?» fragte ich.
«Er ist zum Pfarrer gefahren. Ich hätte ihn vielleicht begleiten sollen, aber ich wollte so schnell wie möglich zu dir zurückkommen. Ich mußte immer an dich denken, wie du hier allein saßest und dir Gedanken machtest.»
«Warum zum Pfarrer?» fragte ich.
«Heute findet eine kleine Feier in der Kirche statt», sagte er.
Ich starrte ihn verständnislos an. Dann begriff ich plötzlich. Rebecca sollte heute abend begraben werden. Rebecca würde nach Manderley zurückkehren.
«Um halb sieben», sagte er. «Außer Frank, Oberst Julyan, dem Pfarrer und mir weiß niemand davon. Es wird also keine Neugierigen geben. Wir haben das gestern so be-sprochen; die Gerichtsverhandlung hätte daran in keinem Fall etwas geändert.»
«Wann mußt du denn fort?»
«Wir wollen uns um fünfundzwanzig Minuten nach sechs in der Kirche treffen.»
Ich fragte nicht weiter und trank schweigend meinen Tee. Maxim legte sein Sandwich wieder auf den Teller zurück. «Es ist noch furchtbar heiß, nicht wahr?» sagte er.
«Ja, Gewitterstimmung. Es scheint sich nicht entschließen zu können, anzufangen. Nur ein paar Tropfen hier und da. Deshalb ist es so drückend.»
«Als ich aus Lanyon fortfuhr, donnerte es schon»,
Weitere Kostenlose Bücher