Rebecca
atmete in vollen Zügen die kühle Luft ein.
«Maxim», sagte Frank leise, «Maxim!»
Er reagierte gar nicht darauf. Favell lachte laut auf und zündete sich wieder eine Zigarette an.
«Wenn du unbedingt gehängt werden willst, lieber Freund, soll es mir auch recht sein», sagte er. Er nahm eine Zeitung vom Tisch und ließ sich auf das Sofa fallen, schlug die Beine übereinander und fing an, die Seiten umzublättern. Frank blickte zögernd von mir zu Maxim.
Dann trat er zu mir.
«Können Sie denn nicht irgend etwas tun?» flüsterte ich ihm zu. «Können Sie nicht Oberst Julyan entgegengehen und ihn bitten, umzukehren, es beruhe alles auf einem Irrtum?» Maxim unterbrach mich, ohne sich umzudrehen.
«Frank wird dieses Zimmer jetzt nicht verlassen», sagte er. «Ich werde mit dieser Angelegenheit allein fertig. Oberst Julyan wird in genau zehn Minuten hier sein.»
Darauf schwiegen wir alle. Favell las weiter in seiner Zeitung. Von draußen drang das monotone Geräusch des niederrauschenden Regens herein; er fiel pausenlos, senkrecht, in schweren Tropfen. Ich fühlte mich hilflos, ohne Kraft.
Ich konnte nichts tun. Auch Frank konnte nichts mehr ausrichten. Ich durfte nicht einmal zu Maxim gehen und ihn auf den Knien anflehen, Favell das Geld zu geben. Ich mußte mit den Händen im Schoß sitzen bleiben, dem Regen lauschen und Maxim ansehen, der mir den Rücken zukehrte.
Der heftige Regen übertönte das Geräusch des vorfahrenden Wagens. Wir wußten nicht, daß Oberst Julyan schon angekommen war, bis die Tür sich öffnete und Frith ihn anmeldete.
Maxim wandte sich rasch um und ging ihm entgegen.
«Guten Abend», sagte er. «Es ist noch nicht lange her, seit wir uns verabschiedeten. Sie müssen sehr schnell gefahren sein.»
«Ja», sagte Oberst Julyan. «Da Sie mir sagten, es sei dringend, bin ich sofort aufgebrochen.
Glücklicherweise hatte mein Chauffeur den Wagen noch nicht eingestellt. Was für ein Wetter!»
Er warf einen forschenden Blick auf Favell, trat dann auf mich zu und gab mir die Hand, während er Frank mit einem Nicken begrüßte. «Es war aber auch höchste Zeit», sagte er,
«daß wir Regen bekamen, er hatte schon reichlich lange auf sich warten lassen. Ich hoffe, es geht Ihnen wieder besser?»
Ich murmelte irgendeine Antwort, ich weiß nicht mehr, was, und er sah von einem zum anderen und rieb sich die Hände.
«Es wird Ihnen natürlich klar sein», sagte Maxim, «daß ich Sie an einem solchen Abend nicht aus dem Haus gelockt habe, um eine halbe Stunde vor dem Essen mit Ihnen verplaudern zu können. Das ist Jack Favell, der Vetter meiner ersten Frau. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon kennen.»
Oberst Julyan nickte. «Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Vermutlich habe ich Sie früher einmal hier getroffen.»
«Sehr wahrscheinlich», sagte Maxim. «Also schieß los, Favell.»
Favell erhob sich vom Sofa und warf die Zeitung auf den Tisch zurück. Er schien in den zehn Minuten, die wir auf Oberst Julyan gewartet hatten, etwas nüchterner geworden zu sein; er schwankte nicht mehr und lächelte jetzt auch nicht. Ich hatte den Eindruck, daß ihm diese unerwartete Wendung nicht recht gefallen wollte und daß ihn das Erscheinen von Oberst Julyan unvorbereitet traf. Er fing mit lauter, übertrieben selbstsicherer Stimme zu sprechen an.
«Hören Sie zu, Oberst», sagte er, «ich will gar nicht wie die Katze um den heißen Brei herumreden. Der Grund meines Hierseins ist kurz gesagt der, daß das Ergebnis der heutigen Gerichtsverhandlung mich nicht befriedigt hat.»
«Ach», sagte Oberst Julyan, «ist das nicht eine Äußerung, zu der nur Mr. de Winter berechtigt ist?»
«Nein, ich glaube nicht», erwiderte Favell. «Ich habe das gleiche Recht, nicht nur als Vetter der Verstorbenen, sondern auch als ihr zukünftiger Mann, wenn sie am Leben geblieben wäre.»
Oberst Julyan machte ein verdutztes Gesicht. «Ach so», sagte er, «dann allerdings. Stimmt das, Mr. de Winter?»
Maxim zuckte mit den Achseln. «Das erste, was ich höre.»
Oberst Julyan ließ einen mißtrauischen Blick von dem einen zum anderen gehen. «Also heraus damit, Mr. Favell», sagte er, «was haben Sie auf dem Herzen?»
Favell starrte ihn einen Augenblick an, ohne zu antworten. Ich sah ihm an, daß er sich einen Plan zurechtzulegen versuchte, aber noch nicht nüchtern genug war, um mit sich ins reine zu kommen. Er steckte seine Hand langsam in die Innentasche seiner Jacke und holte Rebeccas Zettel hervor. «Das hier hat
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