Rebecca
es erst gestern geschrieben worden wäre. Ich nahm meine Nagelschere aus dem Necessaire und fing an zu schneiden, während ich dabei wie ein Verbrecher über meine Schulter sah.
Ich schnitt die Seite ganz aus dem Buch heraus. Ich ließ keine gezackte Kante zurück, und das Buch sah weiß und sauber aus, als die Seite draußen war. Ein neues Buch, wie unberührt.
Ich zerriß die Seite in viele kleine Fetzen und warf sie in den Papierkorb. Dann setzte ich mich wieder ans Fenster. Aber ich dachte unaufhörlich an die Papierfetzen, und nach einer Weile mußte ich wieder aufstehen und noch einmal in den Korb sehen. Selbst jetzt noch hob sich die Tinte schwarz und dick von den kleinen Papierstückchen ab. Die Schrift war unversehrt geblieben.
Ich zündete ein Streichholz an und verbrannte die Fetzen. Die Flamme gab ein hübsches Licht; sie färbte das Papier, kräuselte die Ecken und machte die schrägen Buchstaben unleserlich. Die Papierstückchen zerfielen in graue Asche.
Der Buchstabe R hielt sich am längsten, er krümmte sich in der Flamme, wölbte sich einen Augenblick nach außen, schien zu wachsen. Dann schrumpfte er zusammen; das Feuer vernichtete ihn. Zurück blieb nicht eigentlich Asche, sondern mehr eine Art federiger Staub
… Ich ging zum Waschtisch und wusch mir die Hände. Ich fühlte mich besser, viel besser.
Ich hatte das frische, zuversichtliche Gefühl, das man zum Jahresbeginn beim Anblick des neuen Kalenders an der Wand empfindet. Der erste Januar.
Ich empfand die gleiche, fröhliche Unbeschwertheit. Die Tür ging auf, und er kam ins Zimmer.
«Alles in Ordnung», sagte er, «der Schock verschlug ihr zunächst die Sprache, aber sie erholt sich bereits wieder; ich werde also hinunter ins Büro gehen und dafür sorgen, daß sie den früheren Zug noch erreicht. Einen Augenblick schwankte sie noch. Ich glaube, sie machte sich Hoffnungen, als Trauzeugin auftreten zu können. Aber ich war sehr energisch. Geh jetzt hinein und sprich mit ihr.»
Er sagte nichts davon, daß er froh und glücklich sei. Er nahm auch nicht meinen Arm und ging nicht mit mir ins Wohnzimmer. Er lächelte und winkte mir zu und ging fort.
Ich ging zu Mrs. Van Hopper, unsicher und verlegen wie ein Dienstmädchen, das ihre Kündigung durch einen Freund hatte mitteilen lassen.
Sie stand am Fenster und rauchte eine Zigarette: eine komische, dicke kleine Gestalt. Ihr Mantel spannte sich straff über der vollen Brust, der lächerliche Hut schwebte seitlich auf ihrem Kopf.
«Ja», sagte sie mit einer trockenen und harten Stimme, mit der sie gewiß nicht zu ihm gesprochen hatte. «Sie haben Ihre Freiheit zu nutzen verstanden, das muß Ihnen der Neid lassen. Stille Wasser sind tief – bei Ihnen trifft das jedenfalls zu. Wie haben Sie es fertiggebracht?»
Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Ihr Lächeln gefiel mir nicht.
«Es traf sich günstig für Sie, daß ich die Grippe hatte», sagte sie. «Jetzt ist mir klar, was Sie die ganze Zeit über getrieben haben und warum Sie so vergeßlich gewesen sind.
Trainerstunden – daß ich nicht lache! Das hätten Sie mir immerhin sagen können.»
«Es tut mir leid», sagte ich.
Sie sah mich von oben bis unten neugierig an und musterte mich prüfend. «Und er sagte mir, daß er Sie schon in wenigen Tagen heiraten will. Da haben Sie auch wieder Glück, daß Sie keine Eltern mehr haben, die unbequeme Fragen stellen könnten. Nun, mich geht das ja jetzt nichts mehr an. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich frage mich nur, was seine Freunde dazu sagen werden, aber das ist ja wohl seine Privatangelegenheit. Sie wissen, daß er erheblich älter ist als Sie?»
«Er ist zweiundvierzig», erwiderte ich, «und ich bin alt für mein Alter.»
Sie lachte und ließ die Asche ihrer Zigarette auf den Boden fallen. «Das sind Sie zweifellos», sagte sie. Sie fuhr fort, mich in einer Weise anzustarren, wie sie es bisher noch nie getan hatte. Abschätzend, mit anerkennendem Blick wie ein Preisrichter bei einer
Zuchtviehausstellung.
Es lag etwas eindringlich Forschendes in ihrem Blick, etwas Unsympathisches. «Sagen Sie mir», bemerkte sie vertraulich, «von Frau zu Frau: haben Sie sich etwas zuschulden kommen lassen?»
Sie benahm sich genau wie Blaize, die Schneiderin, als sie mir die zehn Prozent anbot.
«Ich weiß nicht, was Sie meinen», sagte ich.
Sie lachte wieder und zuckte die Achseln. «Na schön … lassen Sie’s gut sein. Aber ich habe immer gesagt, daß die englischen
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