Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
ihn ja auf dem Video gesehen hatte. Hohläugig. Überanstrengt.
»Warum hat er gefastet?«, fragte sie.
Magdalena zuckte mit den Schultern.
»Was weiß ich«, sagte sie. »Manche Dämonen lassen sich nur durch Fasten und Beten austreiben, so steht es ja geschrieben. Aber ich frage mich, ob irgendwer weiß, was mit ihm los war. Thomas weiß es sicher nicht, sie waren in der letzten Zeit kaum noch zusammen.«
»Ach, und was war mit ihnen los?«, fragte Rebecka.
»Jedenfalls nichts, das Thomas dazu veranlasst haben könnte. Viktor umzubringen«, sagte Magdalena. »Ehrlich gesagt, Rebecka, das kannst du doch unmöglich glauben? Aber Viktor schien sich von allen zurückzuziehen. Auch von Thomas. Ich meine nur, dass du diese Familie in Ruhe lassen sollst. Weder Thomas noch Maja können dir etwas sagen.«
»Und wer kann das dann?«, fragte Rebecka.
Als Magdalena keine Antwort gab, fügte sie hinzu:
»Vesa Larsson vielleicht?«
Als Rebecka auf die Straße hinunterkam, dachte sie sofort, dass sie Tjapp aus dem Wagen lassen müsste, denn der Hund musste sicher mal, aber dann fiel ihr ein, dass Tjapp ja verschwunden war. Wenn ihr nun etwas passiert war! Vor ihrem inneren Auge tauchte Tjapps erfrorener, im Schnee liegender Körper auf. Die Augen waren von Krähen oder Raben ausgehackt worden, und ein Fuchs hatte die besten Teile des Bauches verzehrt.
Ich muss Sanna Bescheid sagen, dachte sie und merkte, wie schwer ihr Herz bei diesem Gedanken wurde.
Ein Paar mit einem Kinderwagen kam vorüber. Die Frau war noch jung, vielleicht noch nicht einmal zwanzig. Rebecka fiel auf, dass sie sehnsüchtig ihre Stiefel musterte. Sie kam am alten Palladium vorüber. Noch immer standen vom Schneefestival Ende Januar die Schnee- und Eisskulpturen da. Zwei einen halben Meter hohe Schneehühner aus Beton waren mitten in der Geologgatan aufgestellt worden, um die Autos auszusperren. Auf ihren Köpfen saßen kleine Schneemützen.
Rebecka hatte überhaupt keine Lust, sich in das leere Auto zu setzen. Ihr ging auf, dass sie sich bereits an Hund und Kinder gewöhnt hatte.
Hör auf damit, fauchte sie sich in Gedanken an.
Sie schaute auf die Uhr. Es war schon halb eins. In zwei Stunden musste sie Sara und Lova holen. Sie hatte ihnen für den Nachmittag einen Besuch im Schwimmbad versprochen. Sie musste etwas essen. Am Morgen hatte sie den Kindern Kakao und Butterbrote vorgesetzt, sie selbst hatte aber nur zwei Becher Kaffee geleert. Und sie wollte vorher noch mit Vesa Larsson sprechen. Sie spürte, wie ihr Zwerchfell sich zusammenzog, als ihr einfiel, dass sie die Aktennotiz zu den neuen Gesetzen für Kleinunternehmen noch immer nicht geschrieben hatte.
Sie lief in den Kiosk und schnappte sich eine Packung Schokokekse, eine Banane und eine Cola. Eine Abendzeitung machte mit folgender Schlagzeile auf: »Viktor Strandgård von Satanisten ermordet!« Darüber stand in kaum lesbarer kleiner Schrift:
»Anonymes Gemeindemitglied behauptet:«
»Ach, das ist aber eine kalte Hand«, sagte die Verkäuferin, als Rebecka ihr das Geld gab.
Sie schloss ihre warme trockene Faust um Rebeckas Finger und drückte die Hand eine halbe Sekunde lang, ehe sie sie losließ.
Rebecka lächelte sie überrascht an.
Daran bin ich gar nicht mehr gewöhnt, dachte sie. Mit Fremden zu reden.
Das Auto war inzwischen eiskalt geworden. Rebecka riss die Schale von der Banane und biss energisch hinein. Ihre Finger wurden noch kälter. Sie dachte an die Frau aus dem Kiosk. Die war Mitte sechzig gewesen. Kräftige Arme und üppiger Busen unter einer rosa Mohairjacke. Die selbstgelegten Dauerwellen zu einer Frisur gekämmt, wie sie in den achtziger Jahren modern gewesen war. Ihre Augen waren freundlich gewesen. Danach dachte Rebecka an Sara und Lova. Daran, wie warm die wurden, wenn sie schliefen. Und dann an Tjapp. Tjapp mit ihrem Samtblick und dem wuscheligen schwarzen Fell. Sie hob das Gesicht zur Autodecke und wischte sich mit dem Zeigefinger die Tränen aus den Augen, um ihre Wimperntusche nicht zu verschmieren.
Hör jetzt auf, befahl sie sich wütend und drehte den Zündschlüssel um.
Tjapp liegt in der Finsternis. Dann wird die Klappe über ihr geöffnet, und das Licht einer Taschenlampe blendet sie. Ihr Herz krampft sich vor Angst zusammen, aber sie versucht nicht, sich zu wehren, als zwei harte Hände nach ihr greifen und sie hochheben. Der Flüssigkeitsmangel hat sie passiv und fügsam werden lassen. Aber trotzdem kehrt sie dem Mann, der sie aus seinem
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