Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
nicht umgebracht.«
Ich drehe hier langsam durch, dachte Rebecka. Renne durch die Gegend und klage alle Welt an.
Sie legte die Faust an die Stirn und versuchte, ihrem Kopf einen vernünftigen Gedanken abzuringen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte sie. »Ich verstehe nicht, warum ihr schweigt. Ich begreife nicht, warum jemand das Messer in Sannas Küchenbank gelegt hat.«
Jetzt drehte Vesa Larsson sich um und schaute sie erschrocken an.
»Wie meinst du das?«, fragte er. »Was für ein Messer?«
Rebecka hätte sich die Zunge abbeißen mögen.
»Die Polizei hat das noch nicht an die Presse weitergereicht«, sagte sie. »Aber sie haben die Mordwaffe in Sannas Wohnung gefunden. In ihrer Küchenbank.«
Vesa Larsson starrte sie an.
»O Gott«, sagte er. »Herrgott!«
»Was ist los?«
Vesa Larssons Gesicht verwandelte sich in eine unbewegliche Maske.
»Ich habe die Schweigepflicht einmal zu oft gebrochen«, sagte er.
»Jetzt scheiß doch auf die Schweigepflicht«, rief Rebecka.
»Viktor ist tot. Er scheißt jedenfalls darauf, ob du ihm gegenüber deine Schweigepflicht brichst.«
»Ich meine meine Schweigepflicht Sanna gegenüber.«
»Ja, klasse!«, explodierte Rebecka. »Dann rede eben nicht mit mir! Aber ich werde jeden Stein umdrehen, um zu sehen, was darunter hervorkriecht. Und ich fange mit der Gemeinde und euren finanziellen Affären an. Und aus Sanna werde ich noch heute Nachmittag die Wahrheit herausquetschen.«
Vesa Larsson schaute sie mit gequälter Miene an.
»Kannst du es nicht aufgeben, Rebecka? Fahr nach Hause. Lass dich nicht benutzen.«
»Wie meinst du das?«
Er schüttelte resigniert den Kopf.
»Tu, was du für richtig hältst«, sagte er. »Aber mir kannst du nichts wegnehmen, was ich nicht schon verloren habe.«
»Der Teufel soll euch alle holen«, sagte Rebecka, ohne irgendein Gefühl in diesen Satz zu legen.
»Wer unter euch ohne Sünde ist …«, sagte Vesa Larsson.
Aber klar doch, dachte Rebecka. Ich bin ja eine Mörderin. Eine Kindsmörderin.
Rebecka steht im Schuppen ihrer Großmutter und hackt Holz. Nein, hacken ist nicht das richtige Wort. Sie hat sich die dicksten und schwersten Holzstücke ausgesucht und spaltet sie in einer Art Fieberzustand. Jagt die Axt mit aller Kraft in das unwillige Holz. Hebt die Axt, während das Holzscheit noch an der Klinge hängt, und knallt dessen Rückseite mit voller Wucht auf den Hackklotz. Gewicht und Kraft treiben die Axt wie einen Keil in den Klotz. Jetzt muss sie zerren und ziehen. Am Ende ist das Scheit in zwei Teile gespalten. Sie zerteilt die Hälften abermals in zwei Teile und legt dann das nächste Scheit auf den Hackklotz. Der Schweiß strömt ihr über den Rücken. Ihre Schultern und Arme schmerzen vor Anstrengung, aber sie gönnt sich keine Pause. Wenn sie Glück hat, dann verliert sie dabei das Kind. Niemand hat ihr gesagt, dass sie kein Holz hacken darf. Und dann wird Thomas vielleicht sagen, es sei nicht Gottes Wille gewesen, dass sie auf die Welt kommt.
Es, korrigiert Rebecka sich. Dass es nicht Gottes Wille war, dass es geboren wurde. Obwohl sie im tiefsten Herzen weiß, dass es ein Mädchen ist. Johanna.
Als sie Viktors Stimme hinter sich hört, läuft das Band in ihrem Kopf zurück, und ihr geht auf, dass er schon mehrere Male ihren Namen gesagt hat, ohne dass sie ihn gehört hätte.
Es ist ein seltsames Gefühl, dass er dort auf dem zerbrochenen Stuhl sitzt, der nie zu Brennholz zerteilt wird. Die Lehne ist nicht mehr vorhanden, und hinten auf dem Sitz sind nur noch die Löcher der Holzstäbe zu sehen. Der Stuhl wartet jetzt schon seit Jahren darauf, verbrannt zu werden.
» Wer hat es dir gesagt? « , fragt Rebecka.
» Sanna « , antwortet er. » Sie hat gesagt, du würdest schrecklich wütend sein. «
Rebecka zuckt mit den Schultern. Sie bringt es nicht über sich, wütend zu werden.
» Wer weiß es sonst noch? « , fragt sie.
Jetzt ist Viktor derjenige, der mit den Schultern zuckt. Es ist also schon bekannt. Natürlich. Was hat sie denn gedacht? Er trägt seine gebraucht gekaufte Lederjacke und einen langen Schal, den irgendein Mädchen ihm gestrickt hat. Seine Haare weisen einen ordentlichen Mittelscheitel auf und verschwinden unter diesem Schal.
» Heirate mich « , sagt er.
Rebecka mustert ihn bestürzt.
» Hast du den Verstand verloren? «
» Ich liebe dich « , sagt er. » Ich liebe das Kind. «
Es duftet nach Sägespänen und Holz. Draußen hört sie, wie der Regen vom Dach tropft. Das Weinen
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