Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Wangen waren blank und rosig, als sie fragte: »Also, was ist es für ein Gefühl, einen Menschen zu töten?«
Rebecka marschierte zielstrebig durch die vielen berauschten Menschen. Nein, sie wollte nicht tanzen. Nein, danke, sie wollte nichts von der Bar. Sie hatte ihre Tasche über der Schulter hängen und war unterwegs zum Anleger.
Sie hatte Petra und Popeye abgeschüttelt. Hatte ein nachdenkliches Gesicht gemacht, ihren Blick auf die dunkle Fahrrinne gerichtet und gesagt: »Das war natürlich ganz entsetzlich.«
Was sonst? Die Wahrheit? »Ich habe keine Ahnung. Ich kann mich an nichts erinnern.«
Sie hätte vielleicht von den erbärmlichen Gesprächen mit dem Therapeuten erzählen sollen. Rebecka, die bei jeder Sitzung lacht und lacht und sich am Ende fast ausschüttet vor Lachen. Was soll sie machen? Sie erinnert sich doch nicht. Der Therapeut, der das Lachen nun wirklich nicht erwidert, sagt, es gebe hier keinen Grund zu lachen. Und am Ende beschließen sie, eine Pause einzulegen. Rebecka sei ihm aber jederzeit willkommen.
Als sie nicht mehr arbeiten kann, wendet sie sich trotzdem nicht an ihn. Bringt es nicht über sich. Stellt sich vor, wie sie dasitzt und weint, weil sie ihr Leben nicht in den Griff bekommt, und dazu sein Gesicht, gerade genug Mitgefühl zu dieser Na-was-hab-ich-gesagt-Miene.
Nein, Rebecka hatte Petra wie ein normaler Mensch geantwortet, dass es entsetzlich sei, dass das Leben aber weitergehen müsse, so banal sich das vielleicht anhöre. Danach hatte sie sich entschuldigt und war aufgestanden. Es war gut gegangen, aber fünf Minuten später stellte sich die Wut ein, und jetzt…jetzt war sie so zornig, dass sie am liebsten einen Baum mitsamt den Wurzeln ausgerissen hätte. Oder vielleicht sollte sie sich an die Wand des Herrenhauses lehnen und das Haus wie einen Pappkarton umwerfen. Die beiden Blondschöpfe täten gut daran, nicht mehr beim Anleger zu sitzen, denn sonst würde sie sie mit einem Tritt ins Wasser befördern.
Plötzlich stand Måns dicht hinter ihr. Neben ihr.
»Was ist los? Ist etwas passiert?«
Rebecka wurde nicht langsamer.
»Ich haue ab. Einer von den Köchen hat gesagt, ich könne das Plastikboot leihen. Ich rudere rüber.«
Måns stieß ein ungläubiges Lachen aus.
»Spinnst du? In der Dunkelheit kannst du doch nicht rudern! Und wie willst du danach weiterkommen? Bleib gefälligst hier. Was ist denn bloß in dich gefahren?«
Sie blieb dicht vor dem Anleger stehen. Fuhr herum und knurrte.
»Ja, was glaubst du wohl? Die Leute fragen mich, was es für ein Gefühl ist, einen Menschen zu töten. Woher, zum Teufel, soll ich das wissen? Ich hab dabei ja kein Gedicht über meine Empfindungen geschrieben. Ich – es ist einfach passiert!«
»Und weshalb bist du sauer auf mich? Ich hab das doch nicht gefragt.«
Rebecka sprach plötzlich sehr langsam.
»Nein, Måns, du fragst nichts. Den Vorwurf kann dir wirklich niemand machen.«
»Was, zum Teufel«, sagte er darauf, aber Rebecka hatte bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und war auf den Steg hinausgelaufen.
Er rannte hinter ihr her. Sie hatte ihre Tasche ins Boot geworfen und löste jetzt die Vertäuung. Måns suchte nach Worten.
»Ich habe mit Torsten gesprochen«, sagte er. »Der hat erzählt, dass er dich bitten will, ihn nach Kiruna zu begleiten. Aber ich habe gesagt, dass er das lassen soll.«
»Wieso denn?«
»Wieso? Ich dachte, das wäre das Letzte, was du jetzt brauchst.«
Rebecka sah ihn nicht an, als sie antwortete: »Ich darf vielleicht immer noch selber entscheiden, was ich brauche und was nicht.«
Vage registrierte sie, dass die Leute in der Nähe jetzt alle in ihre und Måns’ Richtung horchten. Alle schienen mit Tanzen und Plaudern beschäftigt zu sein, aber war das Stimmengewirr nicht leiser geworden? Jetzt würden sie in der nächsten Woche im Büro vielleicht Gesprächsstoff haben.
Måns schien das ebenfalls bemerkt zu haben und dämpfte seine Stimme.
»Es war ja nur gut gemeint, entschuldige.«
Rebecka sprang ins Boot.
»Ach, gut gemeint. Hast du deshalb veranlasst, dass ich wie ein Trottel vor Gericht dabeisitzen soll?«
»Jetzt hör aber auf«, fauchte Måns. »Du hast selbst gesagt, du hättest nichts dagegen. Ich habe es für eine gute Möglichkeit gehalten, den Kontakt zu deiner Arbeit nicht zu verlieren. Komm sofort aus dem Boot raus.«
»Als ob ich eine Wahl gehabt hätte. Da kommst du auch drauf, wenn du genauer nachdenkst.«
»Dann hör doch auf damit, verdammt noch mal!
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