Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
oder?«
Rebecka biss die Zähne zusammen.
Ich kann nicht hinfahren, so ist das einfach, dachte sie.
Maria sagte, als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte: »Ich werde jedenfalls Torsten bitten, dich zu fragen. Wenn man Gespenster unter dem Bett hat, ist es besser, die Lampe anzuknipsen, sich auf den Bauch zu legen und nachzusehen.«
Tanz auf der Steinterrasse des Herrenhauses. Abba und Niklas Strömstedt aus den Lautsprechern. Durch die offenen Fenster der Hotelküche ist das Geklirr von Porzellan und das Rauschen von Wasser zu hören, wenn jemand die Teller abspült, ehe sie in der Spülmaschine landen. Die Sonne hat ihre roten Schleier mit ins Wasser gezogen. Lampions hängen in den Bäumen. Vor der Bar am Rand der Terrasse herrscht Gedränge.
Rebecka ging zu den Felsen hinunter. Sie hatte mit ihrem Tischherrn getanzt und sich dann weggeschlichen. Jetzt legte die Dunkelheit den Arm um sie und zog sie mit sich.
Das ging doch gut, sagte sie sich. Mehr hätte man nicht verlangen können.
Sie setzte sich auf eine Holzbank am Wasser. Die Wellen platschten gegen den Betonsteg. Der Geruch von fauligem Tang, salzigem Meer und Diesel. Eine Lampe spiegelte sich in der schwarzen blanken Fläche.
Måns war zu ihr gekommen und hatte sie begrüßt, als sich gerade alle zu Tisch setzen wollten.
»Wie geht’s, Martinsson«, hatte er gefragt.
Was, zum Teufel, soll man darauf antworten, überlegte sie.
Sein Wolfsgrinsen und seine Angewohnheit, sie mit Nachnamen anzureden, waren wie ein großes Stoppschild: Vertraulichkeiten, Tränen und Aufrichtigkeit verbitten wir uns.
Also hieß es Kopf hoch, Füße runter und Bericht darüber erstatten, wie sie in Torstens Kate die Fenster mit Leinöl angestrichen hatte. Nach den Vorfällen in Kiruna hatte sie das Gefühl gehabt, ihm wichtig zu sein. Aber als sie nicht mehr arbeiten konnte, war dieses Gefühl verschwunden.
Dann ist man nichts, dachte sie. Wenn man nicht arbeiten kann.
Schritte auf dem Kiesweg ließen sie aufblicken. Zuerst konnte sie kein Gesicht erkennen, aber dann kam die helle Stimme ihr bekannt vor. Es war die neue Blondine. Wie hieß sie doch noch gleich? Petra.
»Hallo, Rebecka«, sagte Petra wie zu einer alten Bekannten.
Sie trat viel zu dicht an Rebecka heran. Rebecka unterdrückte ihren Impuls aufzuspringen, die andere beiseite zu stoßen und wegzustürzen. Das wäre nun wirklich nicht gegangen. Also blieb sie sitzen. Der Fuß ihres übergeschlagenen Beins verriet sie. Er bewegte sich vor Unbehagen auf und nieder. Wollte weglaufen.
Petra atmete auf und ließ sich neben sie sinken.
»Gott, jetzt hat Åke drei Tänze am Stück mit mir getanzt. Du weißt doch, wie sie sind. Nur weil man für sie arbeitet, halten sie eine wie mich für ihr persönliches Eigentum. Ich musste mich einfach verdrücken.«
Rebecka grunzte eine Art Zustimmung. Bald würde sie sagen, sie müsse zur Toilette.
Petra drehte Rebecka den Oberkörper zu und legte den Kopf auf die Seite.
»Ich habe gehört, was du voriges Jahr durchgemacht hast. Das muss entsetzlich gewesen sein.«
Rebecka gab keine Antwort.
Mal sehen, dachte sie hämisch. Wenn die Beute nicht aus dem Bau kommen will, muss man sie eben herauslocken. Vielleicht mit einer kleinen eigenen Vertraulichkeit. Man hält ihr das kleine Geständnis hin und tauscht es wie ein Glanzbild gegen das des Gegenübers ein.
»Meine Schwester hatte vor fünf Jahren so ein grauenhaftes Erlebnis«, sagte Petra, als Rebecka schwieg. »Sie hat den Sohn der Nachbarn ertrunken im Graben gefunden. Er war erst vier Jahre alt. Und danach war sie…«
Sie beendete diesen Satz mit einer vagen Handbewegung.
»Ach, hier sitzt ihr also.«
Das war Popeye. Er kam mit einem Gin Tonic in jeder Hand auf sie zu. Den einen reichte er Petra, und nach einem winzig kleinen Zögern den anderen Rebecka. Eigentlich war der Drink für ihn selbst bestimmt gewesen.
Ein Mann von Welt, dachte Rebecka müde und stellte das Glas neben sich ab.
Sie schaute Popeye an. Popeye schaute Petra lüstern an. Petra schaute Rebecka lüstern an. Popeye und Petra würden sich mit Rebecka verlustieren. Und sich danach paaren.
Petra musste gespürt haben, dass Rebecka zur Flucht ansetzte. Dass die Gelegenheit bald verpasst sein würde. Normalerweise hätte sie Rebecka laufen lassen und gedacht, es wird sich schon noch eine Gelegenheit bieten. Aber jetzt hatten zu viele Drinks und ein Glas Wein zum Essen ihr Urteilsvermögen getrübt.
Sie beugte sich zu Rebecka vor. Ihre
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