Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
sie Viktor Strandgårds Mörder erschossen hatte. Vielleicht servierte er irgendeine Lüge. Sicher tat er das, was er in geschäftlicher Hinsicht für das Beste hielt. Im Moment lag sie ja in der Pralinenschachtel für die gepflegte Konversation. Zwischen saftigen Anekdoten und würzigem Klatsch. Wenn Stefan Wikström Jurist gewesen wäre, hätte Torsten ihm die Wahrheit erzählt. Hätte die Pralinenschachtel geöffnet und eine Rebecka Martinsson angeboten. Aber Geistliche waren vielleicht keine so klatschsüchtige Rasse wie Juristen.
Nach zehn Minuten kamen die beiden zu ihr heraus. Der Pastor schüttelte ihnen beiden die Hand. Er wollte ihre Hände gar nicht loslassen, kam es ihr vor.
»Es ist ja schade, dass Bertil wegmusste. Es gab einen Autounfall, und da kann man nicht nein sagen. Aber warten Sie doch, dann versuche ich, ihn anzurufen.«
Während Stefan Wikström versuchte, den Probst zu erreichen, wechselten Rebecka und Torsten einen Blick. Der Probst war also wirklich verhindert. Rebecka hätte gern gewusst, warum Stefan Wikström es so wichtig fand, dass sie ihn schon vor der für den nächsten Tag angesetzten Besprechung trafen.
Er will etwas, dachte sie. Aber was?
Stefan Wikström steckte mit einem Lächeln des Bedauerns das Handy in die Tasche.
»Leider«, sagte er, »nur der Anrufbeantworter. Aber wir sehen uns ja morgen.«
Kurzer, gelassener Abschied, da sie sich ja nach der Nachtruhe wieder treffen würden. Torsten bat Rebecka um einen Kugelschreiber und notierte einen Buchtitel, den der Pastor ihm empfohlen hatte. Zeigte aufrichtiges Interesse.
Rebecka und Torsten fuhren zurück in Richtung Stadt. Rebecka erzählte von Jukkasjärvi. Über die Stadt vor der Tourismusexplosion. Wie sie am Fluss geschlummert hatte. Wie die Bevölkerung lautlos aus dem Ort herausströmte, wie Sand aus einem Stundenglas. Und Konsum war nichts anderes als ein Lebensmittelantiquariat. Ab und zu ein verirrter Tourist im Heimatmuseum mit verbranntem Kaffee und einem Staubsauger, der einen weißen Altersbelag aufwies. Die Häuser, die nicht zu verkaufen waren. Stumm und hohläugig hatten sie dagestanden, mit undichten Dächern und Mäusen in den Wänden. Die von Unkraut überwucherten Wiesen.
Und jetzt: Touristen aus aller Welt kamen her, um im Eishotel auf Rentierfellen zu schlafen, um bei dreißig Grad unter null Schneemobil und Hundeschlitten zu fahren und in der Eiskirche getraut zu werden. Und wenn kein Winter war, ging man aufs Saunafloß oder betrieb Wildwasserrafting.
»Halt«, rief Torsten plötzlich. »Da können wir essen!«
Er zeigte auf ein Schild am Straßenrand. Es bestand aus zwei handbeschriebenen übereinander angebrachten Brettern. Sie waren zu Pfeilen zurechtgesägt und zeigten nach links. Grüne Buchstaben auf weißem Grund verkündeten: ZIMMER und KÜCHE BIS 23 UHR .
»Können wir nicht«, sagte Rebecka. »Das ist die Straße nach Poikkijärvi. Da gibt es nichts.«
»Also echt, Martinsson«, sagte Torsten und schaute erwartungsvoll die Straße entlang. »Wo bleibt deine Abenteuerlust?«
Rebecka seufzte wie eine gestresste Mutter und bog auf die Straße nach Poikkijärvi ab.
»Hier gibt es nichts«, sagte sie. »Einen Friedhof, eine Kapelle und ein paar Häuser. Ich sag dir, dass der, der vor hundert Jahren das Schild aufgestellt hat, eine Woche später in Konkurs gegangen ist.«
»Wenn wir das sicher wissen, wenden wir und fahren zum Essen in die Stadt«, sagte Torsten sorglos.
Die Asphaltstraße ging in einen Kiesweg über. Auf der linken Seite floss der Fluss, und sie konnten Jukkasjärvi auf dem anderen Ufer sehen. Der Kies knirschte unter den Autoreifen. Auf beiden Straßenseiten standen Holzhäuser, die meisten waren rot angestrichen. Einige Gärten wurden von verblühten Blumen in Autoreifen und winzigen Windmühlen geschmückt, andere von Wippen und Sandkästen. Hunde rannten in ihren Zwingern, so weit sie nur konnten, und bellten heiser hinter dem vorüberfahrenden Auto her. Rebecka konnte die Blicke aus den Häusern spüren. Ein Auto, das man nicht kannte. Wer mochte das sein? Torsten schaute sich um wie ein glückliches Kind, er kommentierte die hässlichen Anbauten und winkte einem älteren Mann zu, der das Laubharken aufgab und hinter ihnen herstarrte. Sie kamen an kleinen Jungen auf Fahrrädern und einem großen auf einem Moped vorbei.
»Da«, Torsten streckte die Hand aus.
Das Restaurant lag auf der anderen Seite des Ortes. Es war eine umgebaute Autowerkstatt. Das Haus sah
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